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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Körnstedt, Rudolf: Die Pfarrkirche in Wiessee von Rupert von Miller
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Danzer, Paul: Wirtschaftliches vom Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0036

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tonische Funktionskraft nicht verlieren, die Figuren
an den runden Schaft pressen. Sie mußten ebenso un-
bedingt mit diesem emporwachsen, wie sie bei der
Kanzel die streng begrenzten Flächen zu respektieren
hatten. Auch ist mit der Aufgabe, den Sündenfall und
seine Folgen zu erzählen, eine irgendwie ausdrucks-
mäßige Darstellungsweise unweigerlich verbunden.
Das einzelne Ereignis ist im Sinne der religiösen Spe-
kulation nicht allzu bedeutend, es kam darauf an, die
Szenen in ihrem geglaubten Zusammenhänge, als Do-
kumente einer allumfassenden göttlichen Logik gleich-
sam, zu versinnlichen. Demnach werden die Gescheh-
nisse kontinuierlich gegeben und formal miteinander
verflochten. Die schlank-vertikale Grundrichtung aller
Figuren wird von gleitenden Kurven umspielt, im
Grunde vergleichbar der abstrakten Ornamentik an
den beiden benachbarten äußeren Säulen. Das Thema
der Sintflut mit seiner Fülle von Tieren kam vielleicht
der Aufgabe, die Rundung des Säulenschafts orna-
mentmäßig auszudeuten, entgegen. Dagegen war wohl
die Vertikale nur nachhaltiger künstlerischer Über-
legung erreichbar. Es hat nicht daran gemangelt und
es dürfte als besonderes Verdienst zu buchen sein, wie
hier jede vom Thema gelassene Möglichkeit erfaßt
und ausgenutzt wurde. Die Darstellung der Arche und
ihrer Inwohner ist im übrigen nicht ohne den Humor
einer munter fabulierenden Phantasie, eine launig vor-
getragene Predigt an die Laien einer ländlichen Sphäre.
So auch wirken die beiden Bauernheiligen des West-
portals, St. Leonhard und St. Notburga. Eine Inschrift
verrät, daß der Löbl-Bauer von Wiessee sie gestiftet
habe. — Zur vollen wuchtigen Schwere des religiösen
Symbolgedankens steigert sich die Kreuzigung über
diesem Portale. Vor ein Rundfenster gesetzt, dem Ge-
wände entwachsend, visionär schwebend. Streng an
den Stamm des Kreuzes herangenommen die Figuren
der Mutter und des Jüngers. Scharf plastisch vor-

stoßend der gewaltig große asketische Leib des Ge-
kreuzigten.

So verschieden die Aufgaben und ihre Lösung nun
aber auch sein mögen, dem Kundigen bleibt doch
fühlbar, daß ein und dieselbe Künstlerhand am Werke
war. Es ist generell so, daß die Ränder der Figuren
gerne abstrakt markiert werden, daß die Form sich
innerhalb eines verhältnismäßig geschlossenen Kon-
tors entfaltet. Und durchgehends schließen sich ein-
zelne Linienzüge suggestiv zum sprechenden Kurven-
gerüst zusammen. Wenn in der Kreuzigung das Len-
dentuch Christi sich im wesentlichen aus einer ge-
schärften Mittel- und zwei Seitenvertikalen aufbaut,
oder wenn an der Kanzel der Adler des Johannes mit
dem Mantelrand an der Schulter zu einer schwer
schwingenden Kurve zusammengesehen wird, oder
wenn in der Ermordung Abels die bewegten Arme
Kains und seines Opfers sich zügig entsprechen, so
sind das nur einzelne Beispiele aus einer mit Worten
kaum zu erschöpfenden Fülle gleichartiger Augener-
lebnisse. Wesentlich daran ist, daß überall das gleiche
Verhalten zur Fläche, dieselbe Vorstellung von deko-
rativer Form bildend tätig ist.

Auf der anderen Seite ist freilich gerade ein mo-
derner Künstler vor der Gefahr sicher, mit einer kunst-
kennerischen Formel signiert zu werden. Ohne Zwei-
fel war die Fülle der Aufgaben, die Spannweite in der
Stimmung der Themen, der Reichtum an künstleri-
schen Mitteln niemals so groß wie heute. So kann
es geschehen, daß sich in unserem Falle die Werke
bald der imitativen, bald mehr der ausdruckmäßigen
Darstellungsart zuneigen: Hinsichtlich der Qualität
gibt natürlich weder das eine noch das andere einen
Ausschlag und mehr als alle Theorien über die Mittel
galt in angewandter, zweckbedingter Kunst immer die
ehrliche Arbeit an der Aufgabe und die innere Not-
' wendigkeit der erreichten Lösung. Rudolf Kömstedt

W1RTSC H A >' T L I C H E S V O M RUNS T G E W E R B E

In einer Zeit, die von der heutigen Erwerbsnot keine
Vorstellung hatte, hat Van de vel de einmal geäußert, es
sei viel leichter ein gutes Kunstwerk zu schaffen, als es
zu verkaufen. Nun gilt das heute noch viel mehr, und
unsere Zeit wird unbedingt über dasKunstgewerbe hin-
weggehen, wenn dieses sich wirtschaftlich nicht be-

haupten kann. Die Frage, ob diese Behauptung mög-
lich ist, ist nicht minder belangreich als irgendwelche
andere Frage der Kunstentwicklung. Sie kann unter der
Voraussetzung bejaht werden, daß sich das Kunstge-
werbe auch dem wirtschaftlichen Rahmen der Zeit ein-
fügt. Daß das leider nicht durchweg der Fall ist, dafür

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