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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 77.1927

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Rose, Hans: Franz von Stuck
DOI Artikel:
Esswein, Hermann: Münchens kulturelle Zukunft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7094#0074

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Früchte tragen wird. Vielleicht gerade in den kom-
menden Jahren. Denn ob die Schweiz mit dem Erbe
Hodlers und Berlin mit dem Erbe Corinths in gesün-
deren Bahnen wandeln, möchte ich bezweifeln. Eine
andere Frage wäre allerdings die, ob wir heute noch
imstande sind, uns das Persönlichkeitsideal zu eigen zu
machen, das Stuck verkörpert. Es kennzeichnet unsere
Zeit, daß alles das, was um 1900 persönlich erlebt wurde,
heute in das Allgemeine, Unpersönliche, Öffentliche
sich ausdehnt. In der Tat sind es auch nicht Privat-

häuser, sondern öffentliche Gebäude und Geschärts-
häuser, in denen die geistige Schöpfung Stucks ihr
kühl-bewundertes Dasein führt. Der Privatmann plät-
schert behaglich in seinem Rokoko. Vielleicht wird sich
das ändern. Unmöglich wäre es nicht, daß das Bewußt-
sein für das Private und Individuelle wieder erwacht.
Und wenn das geschehen sollte, dann wird Franz von
Stuck und die Kultur seiner künstlerischen Persönlich-
keit von neuem zur Führerschaft berufen sein.

Hans Rose

MÜNCIi E N 8

K U L T U R ELLE

Z U K U JN F T

Vortrag, gehalten am 9. November 19:6 im Bayer.
Kunstgewerbeverein von Hermann Eßwein.

Meine Damen und Herren!

Man kann das nachgerade beliebt gewordene Thema
von Münchens kultureller Zukunft nicht erörtern, ohne
auch die Vergangenheit und die Gegenwart der Kunst-
stadt München mit in die Betrachtung einzubeziehen, und
man kann vor allem, so nahe dies gerade in diesem Kreis
liier läge, das Thema nicht einseitig auf den Kunsthand-
werker, überhaupt nicht nur auf den bildenden Künstler
beschränken.

Es stehen bekanntlich alle einzelnen Zweige unseres
Kulturlebens untereinander in Verbindung. Sie entsprin-
gen aus der nämlichen Wurzel ökonomischer und sozialer
Vorgänge. Ein und derselbe Saft aus dem Lebensmark
unseres Volkstums nährt sie, einerlei ob es sich um die
getreue Kleinarbeit des Alltags oder um große feiertäg-
liche Sonderleistungen handelt. Ich möchte so weit gehen,
zu sagen, daß kein noch so winziges Glied des großen
lebendigen Organismus einer Kultur zu leiden, zu ver-
kümmern, abzusterben vermag, ohne daß darunter nicht
auch das Ganze litte. Verfallserscheinungen in den Außen-
bezirken einer Kultur, gerade in den sehr sichtbaren, sehr
sinnenfälligen, dabei hochgradig empfindlichen Gebieten
der Künste, sind an und für sich schon die Anzeichen
einer Krankheit, zum mindesten einer Krise der Gesell-
schaft und schließlich auch des ganzen Volkstums, das
auf seinem Gipfel solche Blüten der Kultur zeitigt.

Hier ist der für unsere heutige Betrachtung sehr be-
deutende, ja unerläßliche Punkt, an dem wir Kunst nicht
als etwas isoliert Fachliches, sondern als eine Lebens-
äußerung erkennen, die zu den wirtschaftlichen und sozia-
len, den politischen und sittlichen Zuständen und Stre-
bungen eines Volkes in ganz genauen Beziehungen steht, —

und daraus mögen wir denn gleich im vorhinein die
Folgerung ziehen, daß alle Debatten und alle Maßnahmen,
die nur der Kunst als solcher, als Fach, gelten, die sich
nur um rein ästhetische Fragen, etwa Richtungstenden-
zen, Werturteile, geschmackliche Sympathien oder Anti-
pathien drehen, völlig vergeblich sind, wenn nicht zu
ihnen die Erkenntnis und der Wille mitwirken, welche
das Einzelne und Besondere vom Ganzen und Allgemeinen
her zu retten, zu erneuern bestrebt sind.

Jedenfalls sind also die Erwägungen, die sich immer
nur um München als Kunststadt, nicht als Kultur-
mittelpunkt drehen, etwas zu eng gefaßt. Man spricht
von den Blüten und meint doch den Baum, der sie trägt,
ja man denkt dabei, und man tut wohl, daran zu denken,
auch an die nahrhaften Früchte dieses Baumes. Man will
wieder, wie in früheren Jahren, von der kulturellen Vor-
zugsstellung dieser Stadt leben können. Man beginnt, das
künftige Schicksal Münchens als Vorort süddeutschen
Kulturlebens als eine Existenzfrage zu empfinden und
dies mit voller Berechtigung, — denn unsere Besorgnisse
für die Zukunft gelten wahrlich nicht einem romantischen
Phantom, einer Anwandlung von schöngeistigem Ehrgeiz,
nein, es geht ganz handgreiflich um das Schicksal gar nicht
nur eines kleinen Häufleins jener extravaganten und
kuriosen Leute, als die man sich die Künstler vorstellt.
Es geht um den Künstler und den Kunsthandwerker, es
geht aber auch um den Handwerker und den Geschäfts-
mann nebst ihrem großen Anhang von Mitarbeitern und
Mitverdienern, die alle mit Kunst nichts zu tun haben.
Es geht um das Wohl und Wehe ganzer Bevölkerungs-
schichten von recht ansehnlicher Breite, die heute nicht
mehr von dem leben können, was München ehedem ge-
wesen ist, denen seit einigen Jahren gleichsam der Boden
unter den Füßen entglitt, und die nun entweder jetzt
schon das Proletariat vermehren oder sich in ungesunden,

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