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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 78.1928

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Nasse, Hermann: Hermann Geibel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7095#0143
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HERMANN GEIßEL'freiburg-münchen

VON H. NASSE / MÜNCHEN

Als Hermann Geibel, der 1889 in Freiburg
zur Welt gekommen ift und feine künft-
lerifche Ausbildung zuerft in Dresden bei
Müller und Werner, dann in München bei
Erwin Kurz und Zügel erhalten hat, Paris
duffuchte, wurde ihm nicht Barry, nicht Rodin,
fondern, wie er betont, Maillol zum Erlebnis.
Es muß dies deshalb erwähnt werden, weil
man in Geibels früheften Arbeiten Einflüffe
Barrys und Rodins feftzuftellen vermeinte.
C>as konnte vielleicht zutreffen auf die reali-
ftiichen Tierbilder und bisweilen auch auf
Figürliches der frühen Zeit, wo aber zugleich
fchon immer der Wille, nicht nur das Stoffliche
2u meiftern und das triebhafte Wefen eines
Tieres auszudeuten, fondern in erfter Linie die
Abficht, die Bewegung eines jeden Augen-
blickes zu bannen, erkennbar wurde. So wird
Geibel zunächft in der Tat fchöpferifch aus den
Reizen des äußeren, finnlichen Eindrucks he-
raus. Aber fehr bald fchon ging es ihm um die
Wiedergabe des ftrengeren Rhythmus der
Linien der menfchlichen G eftalt mit plaftifchen
Mitteln, am liebften des weiblichen, unbe-
kleideten Körpers. Es ift in der Tat überra-
khend, wie fich dies alles fchon in der »weib-
lichen Halbfigur« von 1921 ausdrückt. Es ift
n°ch überrafchender, wie fchon jetzt eine er-
ftaunliche Ruhe und Gefchloffenheit bei an-
mutiger, empfindungsvoller Gefamthaltung
erreicht ift. In dem großen »männlichenTorfo«
von 1923, deffen Bedeutung vor allen Dingen
^egt in der völligen Bewältigung der Natur
Ur>d zugleich Steigerung der Natur und in der
Ausgezeichnet durchkomponierten Haltung,
^eren Bewegungsrhythmus von antikifchen
^efetzen diktiert zu fein fcheint, wird ge-

ftraffter, vital männlicher Charakter fowie
Energie iiegreich zum Ausdruck gebracht.
In dem, für Bronzeausführung gearbeiteten,
»javanifchen Tänzer« von 1922 ift durch die
fehr gewandte Drehung und in Bewegung-
fetzung des Körpers und durch eine von allen
Seiten her einfetzende und fortlaufende Wel-
lenbewegung und Gegenbewegung das ela-
ftifch Federnde, lauernd Sprunghafte und
doch Beherrfchte eines komplizierten Tanz-
fchrittes formales Erlebnis geworden.

Stempelt das Mittelalter das Gewand zum
Träger des Ausdrucks, fo ift in Geibels Figu-
ren, wo alle Hüllen fallen, der Leib Träger
der Empfindung. Nun fchafft der Künftler in
Introverfion, auf innere Stimmen laufchend.
Dies darf wohl von dem »knieenden Weibe«
in Ton gefagt werden, das fchon mehr ift als
lediglich Träger einer Bewegung. Und wenn
auch hier und in dem Bildwerke aus Nuß-
baumholz von »Mutter und Kind« noch immer
das unbewußt Triebhafte, das finnlich Gefät-
tigte, das völlig in fich Befchloffene in runden
und quellenden plaftifchen Formen Geftal-
tung fand, fo wird doch deutlich, daß der
Künftler nun von der Oberfläche her in ge-
heimnisvoll verborgene Tiefen, das heißt in
die Seele des Menfchen einzudringen gewillt
ift. In der gelben, altgolden patinierten Bronze
einer »Madonnenftatuette« ift nicht nur die
körperliche und naturhafte Beziehung von
Mutter und Kind, fondern der in Augen und
Mund fich äußernde geiftige Ausdruck Haupt-
gegenftand formaler Geftaltung. In den Bild-
nisköpfen aus Ton und Terrakotta horcht der
Künftler auf jenes ftille und doch fo eindring-
liche Raunen innerer Stimmen, mögen fie

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