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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Albrecht Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0028
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der Bekehrung des Eustachius durch die Erscheinung des wunderbaren Hirsches ist dem Künstler hier
nicht die Hauptsache. Derselbe Dürer, der in dem Blatte vom verlorenen Sohn gerade den seelischen
Vorgang der Bekehrung so meisterhaft darzustellen meiß, und alles Nebensächliche diesem Hauptge-
danken unterordnet und dienstbar machh nimmt hier den Stosf aus der Legende gleichsam nur zum
künstlerischen Vorwand, um einen voruehmen Jäger mit aufgezäumtem Roß und mit seinen Jagd-
hunden, einen Hirsch mit zackigem Geweih und eine überaus abwechslungsreiche Landschaft mit Felsen,
Burgen, Wald und See und Brücke geben zu könuen. Nichts ist dem Meister hier zu klein und un-
bedeutend, die Steine am Boden sind mit allen Ecken und Kanten wiedergegeben, an den Bäumen
ist kein Astloch, kein abgeknicktes Zweiglein, keine Schramme, keine Unebenheit der Rinde vergessen.
Das Bild fällt eigentlich iir lauter mit peinlichster Feinheit behandelte Einzelheiten auseinander. Wie
in der Literatur Mörikes bekanntes Gedicht: „Der alte Turmhahn", so ist in der bildenden Kunst
Dürers „Eustachius" vielleicht das charakteristischste Beispiel der deutschen Vorliebe sür Detailmalerei.
Uebrigens ist zum Verständnis der Eigenart dieses Stiches noch etwas anderes zu bedenken. Der
Meister fühlte sich jetzt im Vollbesitz der technischen Fertigkeit in der Wiedergabe der verschiedensten
Stoffe, und nun reizte es ihn, in Einem Blatte sein ganzes künstlerisches und technisches Können zu-
sammenzufassen, zu zeigen, wie er die Darstellung des Menschen wie der Tierwelt und der Land-
schaft gleichmäßig beherrsche, wie er imstande sei, das weiche glatte Fell der Tiere, spiegelndes Wasser,
duftig-flaumigen Baunischlag, rissige, rauhe Rinde mit derselben Fertigkeit stofflich wiederzugeben.

Der Schmerzensmann vom Jnhre 1509 bildet den Titel zu den 1b Blättern der sogenannten
„kleinen (Kupserstich-)Passion". Es handelt sich in dieser Darstellung nicht um eine historische
Szene, etwa die des llomo", sondern das ganze Leiden des Herrn erscheint hier gewissermaßen

in Einen Moment zusammengezogen. „Erbärnidebilder" nennt man diese, dem Mittelalter ge-
läufige Art der Darstellung, die vorzüglich geeignet ist, das Gemüt des Beschauers zum Mitleiden
mit dem Heiland zu bewegen. Jn der Tat hat diese zitternde, gebeugte Leidensgestalt, die Dürer
hier geschaffen hat, dieser Mann der Schmerzen niit den Marterwerkzeugen etwas ungemein Rührendes.
Besonders ergreifend ist der unsäglich schmerz- und liebevolle Blick, der mit leisem Vorwurf zu fragen
scheint: „Mein Volk, was hab' ich dir getand" Auch der Ausdruck von Andacht, Vertrauen und
herzlichem Mitleid in den betrachtenden Gestalten von Maria und Johannes ist vorzüglich gegeben.

Lhristus vor Kaiphas
Kupferstich aus der kieinen Pasnon, 1S12

Der Schmerzensmann

Kupferstich, Titelbild der kleinen Passion, 1S0S
 
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