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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Albrecht Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0033
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Auslegung belstinuuen müsseu, wonach hier anschließend an mittelalterliche Vorstellungen die .lttub^
der freien und der mechanischen Künste dargestellt sind. Wenigstens erklart sich so zlemllch unge-
zmungen der schreibende Flügelknabe als Sinnbild der Grammatikcm der ersten Wlstenschaft, wo-
mit sich die studierende Jugend zu befassen hat, die Wage kann als Smnblld der birainentlich iuri-
slischen) Dialektik, die Glocke als das der Musik betrachtet merden. Das gehelmnwvolle Zah^
quadrat an der Mauer, dessen Ziffern, nach ,uelcher Seite man sie auch addiert, unmer die Zaht 04
ergeben, deutet auf die Arithmetik, der Zirkel in der Hand des Flügelweibes auf oie Oe^ometrle,
Komet und Regenbogen auf die Himmelskunde. Der Hund erinnert an die oatzi / nu

Hintergrunde an die Schiffahrt, die Spritze an die ärztliche, die Leiter an dle Vautunst, ier
mächtige, behauene Steinblock an die Kunst der Steinmetzen, anderes an die tzantlerung oes
Schmiedes usm. Nun verstehen wir auch, mas die geflügelte Frauengestalt zu bcdeuten hat.
ist der rastlos sorschende Menschengeist. Die Beschäftigung mit all den wettllchen Wisten-
schaften und Künsten hat ihm Ruhm und Ehre gebracht (der Kranz auf dem Haupt), Macht uild
Rcichtnm hat er sich dadurch errungen (Schlüssel und Beutel), aber keine dauerndc mnere ^ve-
friedigung. Alle Nähe und alle Ferne hat er durchmessen und muß endlich „ein nmtlos Anker iverfen ,
denn alles menschliche Wissen und Können ist Stückwerk und hintcr jedem gelösten Rütlel erhevt
sich ein neues, ungelöstes. Der brennende Blick des Weibes starrt, mie in trübes Heimmeh verloren
über die llmgebung hinweg in meite, unbestimmte Ferne, mie das trauernde Auge eines gefangenen
Adlers —. All der irdische Wust kanu ja der Seele keinen Frieden geben, sie, die Himmelstochtei,
hat nicht umsonst Fittige empfangen, auf denen sie sich über den Erdenstaub erheben knnn zum un-
erschaffenen Licht, — sie ist unbefriedigt und unruhig, — „bis sie ruht in Gott".

Wie unvergleichlich tief-christlich und großartig ist die Jdee, melche Dürer hier zugrunde ge-
legt hat, und mit melcher Meisterschaft hat er sie zum Ausdrucke gebracht! Wir merden unstonst die
ganze Kunstgeschichte durchsuchen nach einer zweiten Allegorie, die fo lebensvoll wäre und von jo
unmiderstehlicher Stimmung.

Wiewohl die Situation ins Freie verlegt ist, erblickt man keinen Baum, keine Pflanze, nichts
Freundlich-Lebendiges, morauf der Blick ausruhen könnte, nur die trüb sinnende Gestalt des tzlügel-
weibes, das emsig schreibende Knäblein, dem alle
jugendliche Muntcrkeit mangclt, den dürren, kauern-
den Jagdhund, und lauter totes, ungeordnet herum-
stehendes, -liegendes, -hängendes Gerät; das Mecr
licgt mie erstorben dort im Hintergrund, und auch
der erlösende Eindruck des freien Himmels fehlt,
ungewohnte, schreckhafte Phänomene zeigen sich dort.

Etwas Beengendes, Beängstigendes, Schwermütiges
strömt von dem Blatte aus. Besouders nieisterhaft
hat Dürer auch hier das Licht vermendet, um
diese Stimmuug zu verstärken. Jm Vordergrund
herrscht Schatten, nur von rechts fällt ein grelles
Licht herein, läßt aber das Antlitz des Weibes im
Dunkeln. Neberm Hintergrunde zittert das fahle,
unheimliche Licht des Kometen.

Die wahrhaft „melancholische" Gesamtstim-
mung dieses Werkes kommt uns besonders deutlich
zum Bewußtsein, ivenn mir die lichte, mohlige Bc-
haglichkeit damit vergleichen, die aus dem Blatt
des hl. „Hieromstnus im Gehäus" entströmt. Jn
dieser Beziehung bedeuten diese beiden Blätter gegen
früher einen unermeszlichen Fortschritt. Hatte die
Grabstichelkunst sich einst damit begnügt, durch die
Eleganz der Linie oder durch den fein abgewogenen
Wechsel heller und dunkler Partien zu wirken, so
war Dürer noch cinen meiteren Schritt darüber
hinausgegangen, indem er die Oberfläche der Dinge
in ihrer ftofflichen Eigenart charakterisierte —muan
erinnere sich nur an das Wappen mit dem Hahn.

Jetzt aber ist wiederum ein neues, überrascheudes
Moment hereingckommen, Dürer hat hier etwas
erreicht, was ihm noch in dem Stich des „Nitters"
fremd war, nämlich durch das schlichte Schwarz-

weiß ganz bestimmte Beleuchtungseffekte zum Aus- D-r Sackps°if°r

druck zu bringen. Ja gerade die Beleuchtung lst aupf°rstich, isii
 
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