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eine minderwertige Kunstgattung zu halten, vielmehr hat auch er seiue eigentümliche Schönheit, sein
Feld ist weniger, wie beim Kupferstich die Schilderung, als die Erzählung, er wirkt hauptsächlich
durch die Frische uud Kraft der Linienführung.
Noch ein Puukt ist zu beachten. Dürer hat, ivie es auch sonst die Regel ist, die Platten zu
seinen Kupferstichen alle eigenhändig bearbeitet. Bei den Holzschnitten aber hat er nur die Vorzeich-
nung anf den Holzstock geliesert uud die Arbeit des Schneidens handwerklichen Händen überlassen.
Waren auch diese Holzschneider meist ausgezeichnete Kräfte und hat auch der Meister sicherlich die
Arbeit überwacht, so dürfen wir doch nicht außer acht lasseu, daß sich also hier in den Holzschnitten
ein Dritter, nämlich der handwerkliche Holzschneider, zwischen das ursprüngliche Werk Dürers und
das Auge des Beschauers hercinschiebt. Trotzdem atmen gerade die Holzschnitte echt Dürerischen Geist,
ja wir lernen aus ihnen Dürers volkstümliche, kraftvolle Weise fast am besten kennen. Suchen wir
nunmehr einzelne Beispiele aus Dürers Holzschnittwerk kennen und verstehen zu lernenl
Das erste Werk, womit Dürer vor die weitere Oeffentlichkeit trat, war, wie wir gehört haben,
eine Folge von 15 großen Holzschnitten, welche die geheime Offenbarung des hl. Johannes, die Apo-
kalypse zum Gegenstand hatten. Das ist für den jungen Dürer höchst bezeichnend. Er hätte sich
nichts Schwereres aussuchen können. Die geheime Offenbarung behandelt bekanntlich die Schicksale
der Kirche am Ende der Zeiten, ihre Kämpfe wider das Böse und ihre schließliche Verherrlichung.
Es waren Visionen von ungeheuerlicher, kaum darstellbarer Größe und Seltsamkeit, es waren fast
lauter figurenreiche Szenen voll wilder stürmischer Kämpfe zu schildern. Aber eben das, nicht etwa
wie man von einem 27jährigen
Künstler erwarten würde, irgend
ein sinnlich reizvolles Thema,
lockte den jungen Dürer.
Als das gewaltigste Blatt
der Dürerschen Apokalypse hat
von jeher das vierte mit der
Darstellung dcr vier Reiter
gegolten. Kap. VI der Geh. Of-
feubarung schildert, wie das
Lamm am Throne Gottes die
sieben Siegel der Bücher, eins
uach dem anderen löst, und wie
mit Oeffnung der Siegel sieben
Plagen über die Menfchheit kom-
men. Zuerst vier schreckliche
Reiter, der eine ein Sieger mit
Pfeil und Bogen, der andere
auf feuerrotem Roß, bewaffnet
mit einem Schwert: der Krieg,
der dritte die Hungersnot mit
einer Wage, und der vierte
„hatte ein falbes Roß und der
darauf faß heißt der Tod und
die Unterwelt folgte ihm nach".
Nur ein Dürer war imstande,
der grausigen Phantastik dieser
Vision entsprechende Gestalt zu
verleihen. Wir brauchen die
Figuren dieses Blattes zunächst
gar nicht im einzelnen zu be-
trachten, schon ein erster Ueber-
blick gibt den Eindruck nülden
Aufruhrs und Getümmcls. Die
Linien sind wie vom Sturm
gepeitscht, „man möchte fagen",
bemerkt ein Erklärer, „dieLinien
kochen". Wie das Gewölk sich
ringelt und kräuselt, wie auf
der Seite links nlles flattert und
durcheinander wirbelt, die Roß-
decke, der Pferdefchweif, die Joachims Opfer wird vom Hohenpriester zurückgewiesen
2Lage, die Gewandzipfel, oder Soizschnitt aus dem Marienleben, ca. isos
eine minderwertige Kunstgattung zu halten, vielmehr hat auch er seiue eigentümliche Schönheit, sein
Feld ist weniger, wie beim Kupferstich die Schilderung, als die Erzählung, er wirkt hauptsächlich
durch die Frische uud Kraft der Linienführung.
Noch ein Puukt ist zu beachten. Dürer hat, ivie es auch sonst die Regel ist, die Platten zu
seinen Kupferstichen alle eigenhändig bearbeitet. Bei den Holzschnitten aber hat er nur die Vorzeich-
nung anf den Holzstock geliesert uud die Arbeit des Schneidens handwerklichen Händen überlassen.
Waren auch diese Holzschneider meist ausgezeichnete Kräfte und hat auch der Meister sicherlich die
Arbeit überwacht, so dürfen wir doch nicht außer acht lasseu, daß sich also hier in den Holzschnitten
ein Dritter, nämlich der handwerkliche Holzschneider, zwischen das ursprüngliche Werk Dürers und
das Auge des Beschauers hercinschiebt. Trotzdem atmen gerade die Holzschnitte echt Dürerischen Geist,
ja wir lernen aus ihnen Dürers volkstümliche, kraftvolle Weise fast am besten kennen. Suchen wir
nunmehr einzelne Beispiele aus Dürers Holzschnittwerk kennen und verstehen zu lernenl
Das erste Werk, womit Dürer vor die weitere Oeffentlichkeit trat, war, wie wir gehört haben,
eine Folge von 15 großen Holzschnitten, welche die geheime Offenbarung des hl. Johannes, die Apo-
kalypse zum Gegenstand hatten. Das ist für den jungen Dürer höchst bezeichnend. Er hätte sich
nichts Schwereres aussuchen können. Die geheime Offenbarung behandelt bekanntlich die Schicksale
der Kirche am Ende der Zeiten, ihre Kämpfe wider das Böse und ihre schließliche Verherrlichung.
Es waren Visionen von ungeheuerlicher, kaum darstellbarer Größe und Seltsamkeit, es waren fast
lauter figurenreiche Szenen voll wilder stürmischer Kämpfe zu schildern. Aber eben das, nicht etwa
wie man von einem 27jährigen
Künstler erwarten würde, irgend
ein sinnlich reizvolles Thema,
lockte den jungen Dürer.
Als das gewaltigste Blatt
der Dürerschen Apokalypse hat
von jeher das vierte mit der
Darstellung dcr vier Reiter
gegolten. Kap. VI der Geh. Of-
feubarung schildert, wie das
Lamm am Throne Gottes die
sieben Siegel der Bücher, eins
uach dem anderen löst, und wie
mit Oeffnung der Siegel sieben
Plagen über die Menfchheit kom-
men. Zuerst vier schreckliche
Reiter, der eine ein Sieger mit
Pfeil und Bogen, der andere
auf feuerrotem Roß, bewaffnet
mit einem Schwert: der Krieg,
der dritte die Hungersnot mit
einer Wage, und der vierte
„hatte ein falbes Roß und der
darauf faß heißt der Tod und
die Unterwelt folgte ihm nach".
Nur ein Dürer war imstande,
der grausigen Phantastik dieser
Vision entsprechende Gestalt zu
verleihen. Wir brauchen die
Figuren dieses Blattes zunächst
gar nicht im einzelnen zu be-
trachten, schon ein erster Ueber-
blick gibt den Eindruck nülden
Aufruhrs und Getümmcls. Die
Linien sind wie vom Sturm
gepeitscht, „man möchte fagen",
bemerkt ein Erklärer, „dieLinien
kochen". Wie das Gewölk sich
ringelt und kräuselt, wie auf
der Seite links nlles flattert und
durcheinander wirbelt, die Roß-
decke, der Pferdefchweif, die Joachims Opfer wird vom Hohenpriester zurückgewiesen
2Lage, die Gewandzipfel, oder Soizschnitt aus dem Marienleben, ca. isos