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wieder hebt und zum heran-
laufenden König senkb Oben
in den Lüften strahlt der Stern
und jubilieren die Engel.
Wieder eine andere Stim-
mung atmet aus der „Flucht
nach Aegypten", nämlich die
heimliche Stilledes kühlen, däm-
merigen Waldes, durch melchen
die hl. Familie dahinzieht. Be-
sorgt blickt der getreue Joseph
nach der Gottesmutter zurück,
die ihn, das Kindlein im Arm,
glückselig anlächelt.
Die HI. Familie in
Aegppten. Der Schauplatz,
den Dürer hier bietet, hat aller-
dings durchaus nichts Aegyp-
tisches an sich, es ist, mie in
den übrigen Bildern, eine echt
deutsche Landschaft. Hier in
dem malerisch halbzerfallenen
Hause, vor dem ein großer Brun-
nen rauscht, hat die hl. Familie
Herberge genommen, hier treibt
Joseph mieder sein Zimmer-
mannshandwerk. Eben ist er
daran, einen Türstock zu be-
hauen, Maria schaukelt voll
seliger Mutterlust ihr in der
Wiege schlummerndes Kind und
ist nebenbei mit Spinnen be-
schästigt, wobei ihr ein paar
Engel andächtig-neugierig zu-
schauen. Reizend sind die klei-
nen Engelein, die sich ganz nach
Art der kleinen Kinder beneh-
men. Der eine hat sich des
hl. Joseph Hut aufgesetzt und ist
daran, die abgefallenen Holz-
späne zusammenzurechen, an-
dere machen sich nützlich, indem
sie diese Späne emsig in einem
Korbe sammeln. Ein kleines
Engelpaar, der eine hat noch ein Spielzeug in der Hand, kommt eilig herbeigelaufen, um auch noch
zu helfen. Oben blickt Gottvater segnend herab.
Selbstverständlich entspricht die Charakterisierung dieser kleinen Engel nicht der Aufsassung vom
Wesen der Engel, wie sie die Heilige Schrift oder der Katechisinus enthält, aber dem Künstler ist
manche Freiheit gestattet und wer wollte sich durch solche Bedenken abhalten lassen, sich an dem
neckisch-ernsthaften Treiben der kleinen Burschen hier und an dem zarten idyllischen Hauch, der über
der ganzen Szene liegt, herzlich zu erfreuen.
Erschütternder Ernst dagegcn spricht aus dem Blatte des iNarienlebens, das den Abschied
Christi von seiner Mutter schildert. Die Stunde ist gekommen, wo der Herr das Haus seiner
Mutter verlnssen muß, um scine Tätigkeit als Lehrer und Heiland der Welt zu entfalten. Maria hat
den geliebten Sohn bis heraus vor die Türe geleitet, doch wie er sich nun zum Scheiden wendet
und mit liebevoll göttlichem Ernst sie zum Abschied noch einmal segnet, da bricht die Mutter hände-
ringend in unsäglichem Weh wie ohnmächtig zusammen. Es kann nichts Ergreifenderes geben als
diesen Ausdruck stummen, hilfloscn Jammers, der nochmals zu fragen scheint: „Muß es, muß es
denn sein?"
Neben der kleinen Kupferstichpassion, von der wir bereits einige Proben betrachtet haben, hat
Dürer auch für dcn Holzschnitt zwei Folgen von Passionsbildern geschaffen. Die sogenannte kleine
Holzschnittpassion erzählt in schlichtem, volkstümlichem Tone in 36 Bildern die ganze Heilsgeschichte
Die HI. Familie bei der Arbeit
Holzschnitt aus dem Marienleben, vor 1506
wieder hebt und zum heran-
laufenden König senkb Oben
in den Lüften strahlt der Stern
und jubilieren die Engel.
Wieder eine andere Stim-
mung atmet aus der „Flucht
nach Aegypten", nämlich die
heimliche Stilledes kühlen, däm-
merigen Waldes, durch melchen
die hl. Familie dahinzieht. Be-
sorgt blickt der getreue Joseph
nach der Gottesmutter zurück,
die ihn, das Kindlein im Arm,
glückselig anlächelt.
Die HI. Familie in
Aegppten. Der Schauplatz,
den Dürer hier bietet, hat aller-
dings durchaus nichts Aegyp-
tisches an sich, es ist, mie in
den übrigen Bildern, eine echt
deutsche Landschaft. Hier in
dem malerisch halbzerfallenen
Hause, vor dem ein großer Brun-
nen rauscht, hat die hl. Familie
Herberge genommen, hier treibt
Joseph mieder sein Zimmer-
mannshandwerk. Eben ist er
daran, einen Türstock zu be-
hauen, Maria schaukelt voll
seliger Mutterlust ihr in der
Wiege schlummerndes Kind und
ist nebenbei mit Spinnen be-
schästigt, wobei ihr ein paar
Engel andächtig-neugierig zu-
schauen. Reizend sind die klei-
nen Engelein, die sich ganz nach
Art der kleinen Kinder beneh-
men. Der eine hat sich des
hl. Joseph Hut aufgesetzt und ist
daran, die abgefallenen Holz-
späne zusammenzurechen, an-
dere machen sich nützlich, indem
sie diese Späne emsig in einem
Korbe sammeln. Ein kleines
Engelpaar, der eine hat noch ein Spielzeug in der Hand, kommt eilig herbeigelaufen, um auch noch
zu helfen. Oben blickt Gottvater segnend herab.
Selbstverständlich entspricht die Charakterisierung dieser kleinen Engel nicht der Aufsassung vom
Wesen der Engel, wie sie die Heilige Schrift oder der Katechisinus enthält, aber dem Künstler ist
manche Freiheit gestattet und wer wollte sich durch solche Bedenken abhalten lassen, sich an dem
neckisch-ernsthaften Treiben der kleinen Burschen hier und an dem zarten idyllischen Hauch, der über
der ganzen Szene liegt, herzlich zu erfreuen.
Erschütternder Ernst dagegcn spricht aus dem Blatte des iNarienlebens, das den Abschied
Christi von seiner Mutter schildert. Die Stunde ist gekommen, wo der Herr das Haus seiner
Mutter verlnssen muß, um scine Tätigkeit als Lehrer und Heiland der Welt zu entfalten. Maria hat
den geliebten Sohn bis heraus vor die Türe geleitet, doch wie er sich nun zum Scheiden wendet
und mit liebevoll göttlichem Ernst sie zum Abschied noch einmal segnet, da bricht die Mutter hände-
ringend in unsäglichem Weh wie ohnmächtig zusammen. Es kann nichts Ergreifenderes geben als
diesen Ausdruck stummen, hilfloscn Jammers, der nochmals zu fragen scheint: „Muß es, muß es
denn sein?"
Neben der kleinen Kupferstichpassion, von der wir bereits einige Proben betrachtet haben, hat
Dürer auch für dcn Holzschnitt zwei Folgen von Passionsbildern geschaffen. Die sogenannte kleine
Holzschnittpassion erzählt in schlichtem, volkstümlichem Tone in 36 Bildern die ganze Heilsgeschichte
Die HI. Familie bei der Arbeit
Holzschnitt aus dem Marienleben, vor 1506