40
vom Sündensall bis zum
Pfingstfest und zum Letz-
ten Gerichte, Die bekann-
teste und mit Recht be-
rühmteste von allen Dar-
stellungen der ganzen
langen Reihe ist das
Titelbild. Esistwiede-
rum ein sogenanntes Er-
bärmdebild, deren wir
schon einmal eines als
Titelblatt zur Kupferstich-
passion kennen gelernt ha-
ben, es will also hier der
Jnbegriff alles körper-
lichen und seelischen Lei-
dens, das Christus er-
duldet, zusammenfassend
geschildert werden. Da
ist es nun interessant,
diese Darstellung mit je-
ner zwei Jahre srüher ent-
standenen zu vergleichen.
Wie viel innerlicher und
tiefer ist der Gedanke hier
gefaßt! Die teilnehmen-
den Zuschauer sind weg-
gelassen, ebenso die Gei-
ßeln und die Säule. Nicht
so sehr das körperlichc,
als das seelische Lciden
ist hier besonders betont,
selbst das Antlitz des
Herrn ist vom Beschaucr
abgewendet und halb ver-
deckt. Der Heiland ist
ganz allein, Alles hat
ihn verlassen, erschauernd
kauert er in sich zusam-
mcn, niedergebeugt vom
llebermaß der Leiden, von
der entsetzlichen Last der
Weltenschuld, seine Seele
ist betrübt bis in den Tod,
es ist kein Schmerz wie
sein Schmerz. Sinnlich
schön ist diese Christus-
darstellung nicht, aber die christliche Kunst hat kaum einmal eine ergreifendere Passionspredigt ge-
halten, als in den einfachen rauhen Linien dieses Holzschnittes, den nlan nicht mehr vergessen kann,
wenn man einmal Aug' und Gemüt darein versenkt hat,
„Die Geburt Christi", gleichfalls ein Blatt der kleinen Holzschnittpassion. Zu welch feiner
kernig-zarter Wirkung hat sich hier, an diesem Lieblingsgegenstande Dürerscher Kunst, die Technik des
Holzschnittes erschwungen, wie licht und freundlich ist der Eindruck dieses Blattes, und wie viel volks-
tümliche Poesie liegt über der ganzen, schön angeordneten Komposition, besonders den beiden knieen-
den Hirten!
Die Kreuztragung. Ein Bild im derben Volksgeschmack. Rohe Schergen und Henkers-
knechte, die sich drängen, berittene Pharisäer, etwas im Hintergrunde Maria und Jvhannes, die den
traurigen Zug begleiten. Aber überaus schön und ergreisend ist der unter dem 5lreuz niedergestürzte
Heiland, wie er auf einen Augenblick das todmüde, schmerzvolle Haupt der hl. Veronika zuwendet.
Das umfangreichere Format der großen Ho lzschnittpassion bot Gelegenheit zur Entfaltung
figurenreicher Szenen. Freilich leidet darunter manchmal die in der kleinen Passion schon durch den
Rnum bcdingte Konzentration der Jdec, auch hat hicr dcr Meister in dcr Darstellung der körperlichen
Der Abschied Christi von seiner Mutter
Holzschnitt aus dem Marienleben, vor l506
vom Sündensall bis zum
Pfingstfest und zum Letz-
ten Gerichte, Die bekann-
teste und mit Recht be-
rühmteste von allen Dar-
stellungen der ganzen
langen Reihe ist das
Titelbild. Esistwiede-
rum ein sogenanntes Er-
bärmdebild, deren wir
schon einmal eines als
Titelblatt zur Kupferstich-
passion kennen gelernt ha-
ben, es will also hier der
Jnbegriff alles körper-
lichen und seelischen Lei-
dens, das Christus er-
duldet, zusammenfassend
geschildert werden. Da
ist es nun interessant,
diese Darstellung mit je-
ner zwei Jahre srüher ent-
standenen zu vergleichen.
Wie viel innerlicher und
tiefer ist der Gedanke hier
gefaßt! Die teilnehmen-
den Zuschauer sind weg-
gelassen, ebenso die Gei-
ßeln und die Säule. Nicht
so sehr das körperlichc,
als das seelische Lciden
ist hier besonders betont,
selbst das Antlitz des
Herrn ist vom Beschaucr
abgewendet und halb ver-
deckt. Der Heiland ist
ganz allein, Alles hat
ihn verlassen, erschauernd
kauert er in sich zusam-
mcn, niedergebeugt vom
llebermaß der Leiden, von
der entsetzlichen Last der
Weltenschuld, seine Seele
ist betrübt bis in den Tod,
es ist kein Schmerz wie
sein Schmerz. Sinnlich
schön ist diese Christus-
darstellung nicht, aber die christliche Kunst hat kaum einmal eine ergreifendere Passionspredigt ge-
halten, als in den einfachen rauhen Linien dieses Holzschnittes, den nlan nicht mehr vergessen kann,
wenn man einmal Aug' und Gemüt darein versenkt hat,
„Die Geburt Christi", gleichfalls ein Blatt der kleinen Holzschnittpassion. Zu welch feiner
kernig-zarter Wirkung hat sich hier, an diesem Lieblingsgegenstande Dürerscher Kunst, die Technik des
Holzschnittes erschwungen, wie licht und freundlich ist der Eindruck dieses Blattes, und wie viel volks-
tümliche Poesie liegt über der ganzen, schön angeordneten Komposition, besonders den beiden knieen-
den Hirten!
Die Kreuztragung. Ein Bild im derben Volksgeschmack. Rohe Schergen und Henkers-
knechte, die sich drängen, berittene Pharisäer, etwas im Hintergrunde Maria und Jvhannes, die den
traurigen Zug begleiten. Aber überaus schön und ergreisend ist der unter dem 5lreuz niedergestürzte
Heiland, wie er auf einen Augenblick das todmüde, schmerzvolle Haupt der hl. Veronika zuwendet.
Das umfangreichere Format der großen Ho lzschnittpassion bot Gelegenheit zur Entfaltung
figurenreicher Szenen. Freilich leidet darunter manchmal die in der kleinen Passion schon durch den
Rnum bcdingte Konzentration der Jdec, auch hat hicr dcr Meister in dcr Darstellung der körperlichen
Der Abschied Christi von seiner Mutter
Holzschnitt aus dem Marienleben, vor l506