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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0055
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Bild s. Ludwlg Richter zeichnend. Farbige Federzeichnung 1867.
Titelblatt zu einer Folge von Handzeichnungcn. Jn Privatbesitz.

it seinen kleinen, tiefempfundenen Holz-
schnittzeichnungen gewann er alle Herzen,
fand Zutritt in jede Familie, wurde heimisch in
jedem Hause, wo Zucht und Ehre, Treue und
Glaube walten, blieb ein Tröster in allen Lagen
des Lebens, Freude spendend, Leid wendend
und Sorgen glättend durch seine wahre, echte,
ungetrübte Heiterkeit und Schönheit.

Wenn Washington Jrving sagt, es gebe „eine
tägliche Schönheit im Leben, über welche der
Mensch nachdenken und dadurch besser werden
kann", so scheint gerade Ludwig Richter sich zur
Aufgabe gesetzt zu haben, diese „tägliche Schönheit
im Leben" von allen Seiten, ohne Lärm und
Geräusch, ohue alles Anpreisen und Rühmen,
uns aufzuschließen, zuzuführen und näher zum
Verständnis zu bringen.

So wurde Ludwig Richter ein Künstler, an
welchem, etwa nur mit Albrecht Dürer vergleich-
bar, das feinste Gefühl und das tiesste Gemüt
mit dem liebenswürdigsten Humor gleicheu Teil
haben. Jn seinen Darstellungen charakteristisch
bis zum Grotesken, bei einfachster Wahrheit doch
nie ohne Jdealität, allen, dem Gelehrten und dem
Künstler, dem Ungebildeten und dem Kind, leicht

verständlich und lieb, dazu unerschöpslich frucht-
bar, reich an Phantasie und von sormgewandter
Ausführung. Wie ein solchpsychologischesProblem
sich entwickelte, aufwuchs und gestaltete, ist immer
einer lohnenden Betrachtung wert.

-i- *

-i-

Adrian Ludwig Richter, geboren am
28. September 1803 zu Dresden, wo sein Vater
K a r l A u g u st R i ch t e rZ damals als Kupfer-
stecher in kleinen, sehr drückenden Verhältnissen
lebte, mußte schon frühe überall künstlerische
Beihilfe leisten. Der Großvater, ein armer
Kupferdrucker, der sich in späteren Jahren mit
Uhrmacherei abgab und nebenbei leidenschaftlich
Alchymie und Goldmacherei — eine im damaligen
Dresden häufig kultivierte Kunst — betrieb, war
eine etwa dem alten Eberhard Stilling vergleich-
bare Figur, viel mit religiösen, seinem nigro-
mantischenSinnieren entsprechenden Vorstellungen
beschäftigt, in seinem ganzen Wesen ruhig, doch
leicht irouisch angelegt. So hauste er in einem
dunklen Stübchen im Hintergebäude, wo eine
Menge Wanduhren wie verrückt durcheinander
tickten und tackten, künstliche Kuckucke die Stunden


 
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