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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0059
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den Anfangsgründen
dieser Kunst wurde der
kleineLudwig frühzeitig
unterwiesen, und er
mußte danu den ganzen
Tag über bei den oft
traurigen, wenig för-
derndenArbeiten helsen,
welche für den Erwerb
gemacht wurden, der
um so kümmerlicher
war, da der Druck der
napoleonischen Kriegs-
jahre schwer über allen
Verhältnissen lastete.
Zum Weiterlernen blie-
ben fast nur die Abend-
stunden. So spann er
eingezogen und ver-
lassen seines Daseins
stillen Faden. Später
kam er an die Dresdener Akademie, wo, wie
damals überall, die geschmacklose Manieriert-
heit in üppiger Blüte stand. So dozierte
einer seinerLehrer: „Wenn SieBaumschlagZ
machen wollen, so nehmen Sie einen Streifen
Papier, brechen ihn zusammen und biegen
die Spitzen herum und setzen diese Formen
mit 3—4—5—6 Spitzen in Gruppen neben-
einander: das gibt Baumschlagl dito macht
man auch Gras! und Heu! und" — gesegnete
Mahlzeit! — „Ach, gütiger Gott (fügt Richter
seiner Erzählung bei), ich war tags vorher
im Plauenschen Grunde gewesen und vor
Wonne fast aus der Haut gefahren, wie ich
im Mühlgraben und in den Wiesen im hoch-
aufsprossenden Grase die prachtvollen Klee-
blüten, Butterblumen, Pechnelken, Gunter-
mann und tausend andere Farben und For-
men hatte aufblühen sehen. Jch hatte die Um-
risse der Erlen und Haselsträucher, der Eichen
und Büsche mit Entzücken verfolgt und sollte
nun — „Baumschlag machen", der fast aus-
sah, wie, hölzerne spanische Reiter, — es
war zum Verzweifeln! Und doch trug ich
zu großen Respekt vor der Weisheit der Pro-
fessoren, ich mußte meinen Ansichten miß-
trauen und den ihrigen folgen; nichts in der
umgebenden Kunstwelt, was einem hätte auf
die Sprünge helfen können! Von der Art
einer manierierten Zeit hat die jetzige junge
Kunstwelt gar keinen Begriff." Möglich!
Doch drängt sich dabei die Frage auf, ob
die Gegenwart mit ihren vorwiegend auf
Farbeuprobleme abzielenden Bestrebungen und
ihrer schroffen Betonuug der äußeren Er-
scheinung bis zum Häßlichen nicht auch
einer sehr „manierierten Richtung" huldigt.

Ob uns, wie dem Spießbürger Chamissos,
uicht etwa ein tüchtiger Zops im Nacken
hängt, gleichviel uach welcher Richtung der
damit Behaftete sich wendet und dreht? Jeder

schaut die Natur doch wieder durch seine sub-
jektiv gefärbte Brille, mag selbe Rembrandt, Goya
oder sonst heißen. Auch in diesen Kreisen gibt
es Götter, Helden und Ritter von der traurigen
Gestalt.

Glücklicherweise konnten Richters akademisch
verknöcherte Lehrmeister das nicht verderben, was
in seiner Seele ahnungsreich schlummerte. Er
suchte sich seine Studien draußen in Gottes schöner
Welt, ermutigt durch das Vorbild des Malers
Dahl Z, welcher über Kopenhagen 1818 nach
Dresden kam, dann, Süddeutschland und Jtalien
bereisend, frischere Anregung brachte. Tröstliche
Kunde verlautete auch aus Rom, wo unterdessen
gerade die deutsche Kunst neue Knospen trieb. Es
war ein frisches, viel verheißendes Frühlings-
wehen, welches unaufhaltsam über die Alpen
drang. Was von dort verlautete, reizte mächtig.
Einer nach dem anderen zog nach dem gelobten
Lande Jtalia. Richter mußte zurückbleiben, ihn
hielten beschränkte Verhältnisse strenge gebunden.

Bild 10. Aus Bechsteins Märchenbuch: Rotkäppchen.
 
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