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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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Bild 11. Aus Bechsteins Märchenbuch: Tischlein deck dich.

Traurig sah er nach dem Lande der Sehnsucht.
Doch die Zeit bringt Rat und Hilfe. Wenn auch
die Gegenwart bisweilen die heißesten Wünsche
versagt, so gewährt oft schon der nächste Tag Er-
satz dafür, und häufig kommt es doch viel schöner,
als unsere kühnsten Hoffnungen erwarten. Echte
Treue, wahre Geduld und Beharrlichkeit werden
immer belohnt!

So erging als vorläufiger Ersatz 1820 an
Ludwig Richter die Eintadung des kaiserlich russi-
schen Oberkammerherrn Fürsten von Narischkin,
ihn als Zeichner auf einer Neise durch das süd-
liche Frankreich zu begleiten. Es galt die Anlage
eines landschaftlichenAlbums für eine hohe Kunst-
freundin. Fweudig ergriff der Maler die willkom-
mene Gelegenheit, ein so schönes Stück Welt zu
sehen und mit sonnenhellem Jugendsinn eine Fülle
neuer, mannigfaltiger Erscheinungen in sich auf-
zunehmen. Wahrlich:

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,

Den schickt er in die lveite Welt,

Dem lvill er seine Wunder weisen,

Jn Berg nnd Wald und Strom und Feldl

Den Winter verbrachte der glückliche Jüngling
in Nizza, dann ging es im Frühling nach Paris,
und mit neuen Eindrücken, erfrischt und gekräftigt,

erfolgte im Sommer 1821 die Rück-
kehr ins väterlicheHeim. Freilich hatte
Richter dieseReise nicht so nachWunsch
zu eigenen Studien benützen können;
denn der Fürst, welcher mehr auf sein
Albmn als auf die Ausbildung des
jungen Malers dachte, drängte zu
immer neuen Aufgaben. Dadurch er-
wuchs jedoch dem Jüngling der nicht
gering anzuschlagende Nutzen, daß er,
statt in breiter Behaglichkeit sich gehen
zu lassen, gezwungen war, sich rasch
zu fassen und zusammen zu nehmen,
das Geschaute frisch einzuheimsen. So
schärfte und übte er seinen Blick, die
Fertigkeit, das Gesehene festzuhalten
und darzustellen.

Wie nach dem Sprichwort über dem
Essen erst der rechte Appetit kommt,
so war durch diesen Ausslug die Sehn-
sucht nach Jtalien noch mehr geweckt
und erhöht. Aber wie konnte der gänz-
lich unbemittelte junge Mann an die
Erfüllung seiner heißesten Wünsche
denken? Auch da erschien unerwartete
Hilfe. Zufällig kam einst der wackere
Buchhändler Ch. Arnold zu Richters
Vater, sah den Sohn bei der Arbeit
und faßte für ihn, der dem eigenen,
kürzlich verstorbenen Sohne glich, eine
herzliche Zuneigung. Es konnte ihni
nicht entgehen, was hier not sei. Sn
sagte eines Tages der treffliche, edel-
mütige Mann zu Richters höchster
Überraschung: „Lieber jungerFreund,
Sie müssen fort, nach Rom. Jch gebe
Jhnen jährlich vierhundert Taler, wofür Sie kei-
nerlei Verbindlichkeit einzugehen haben
und ungehindert studieren können. Also in Gottes
Namen auf!" Mit freudigster Dankbarkeit ergriff
Richter die rettende
Hand, schnürt seine
Bündel und zog,
das graue Staub-
hemd über dem
Rocke, die grün-
lederne, zusammen-
klappbare „Beruhi-
gungskappe" o) auf
dem Haupte, das
leichte Ränzel auf
dem Rücken, aus
welchem zum höch-
stenStolz desWan-
derers ein paar
frischgesohlte„Stie-
wel" herausragten,
in der Rechten den
knotigen Wander-
stock — es lief bei
aller Poesie noch
ein gutStück.Hand-

Bild 12. Aus Bechsteins Müi.'chenbuch:
Tischlein deck dich.
 
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