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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0070
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18

der Ehe, das äußerste Genügen im engsten Kreise,
das Glück im eigenen trauten Heim; beide schil-
dern Szenen des ungestörten häuslichen Segens,
des treuen Zusammenhaltens in Leid und Freude,
Musterbilder eines christlichen Hausstandes. Da-
rin liegt das offene Geheimnis der Kunst, welche
zum Herzen geht, weil sie aus ganzer, warmer
Seele kommt.

Wenn Gotthelf seine Vorbilder zur Gegen-
wirkung oftmals aus bösartigen Verhältnissen
nimmt, so gereichen diese der Richtigkeit seines
Grundsatzes nur zum rechten Hintergrund. Ebenso
zeichnet Richter bisweilen auch einen Bruder
Liederlich und Nnnütz; aber so ein Käuzlein bleibt
nur ein guter, komischer Notbehelf, auch eine Art
Menschenexempel, welchem man nicht böse sein
kann, ebensowenig wie den Teufeln des Fra
Angelico, die nur phantastisch-humoristisch sind,
so daß man in ihrer Gesellschaft wohl die Hölle
aushalten könnte; im Verein mit den seligen Ge-
stalten des malenden Engelbruders sind diese
Figuren nur mitwirkende Jnstrumente in der
großen Lebenssymphonie, wo jeder seine unent-
behrliche Tonart abspielt.

Richter betritt häufig das religiöse Gebiet,
aber nicht wie der gern einen Sermon abhal-
tende Jeremias Gotthelf. Man könnte sagen,
Richter mit seiner einfachen Wärme und Jnnigkeit
sei der Maler der Hausandacht. Er betrat nie das
streng-historische Gebiet der Stilistik oder des dog-
matischenKirchenbildes, sondern blieb seiner durch-

Bild 28. Aus Richter-Sturrn, Biblische Bilder.
Ferd. Riehm, Leipzig.

Bild 29. Nus der Christenfrende. A- Dürr, Leipzig.

weg poetisch-lyrischen Natur getreu, auch in den
wenigen Kompositionen, welche er zu der längst
ersehnten und sorgfältig vorbereiteten Bilderbibel
beisteuerte-^). Während Richter in seinen weltlichen
Schilderungen durchweg originell blieb, lehnte er
sich in seinen religiösen Schöpfungen doch gern an
ein Vorbild oder benützte Erinnerungen an Hol-
bein, Dürer und die späteren Maler der deutschen
Schule, wobei ihm seine eigene nachfühlende Jn-
nigkeit immer die Hand leitete.

Wie oft verherrlichte Richter die helle, gnaden-
reiche Weihnachtszeit! Da ist voraus die große
Radierung mit dem Christbaum, die ihm ebenso-
viele Mühe bereitete wie große Freude gewährte.
Eine echtePerle seiner holdseligenKunst (Bild 30).
Tief unten ruht die altertümliche Stadt im Däm-
merscheine der heiligenNacht, welche von den Zin-
kenisten und Sängerknaben vom hohen Turme her-
ab verkündet wird. Darüber schwebt in der Höhe
der Stern von Bethlehem und, von Engeln gehal-
ten, der lichterblinkende Weihnachtsbaum; an sei-
nem Fuße trägt eine Gruppe von Himmelsboten
den mit Früchten reich geschmückten Korb, in wel-
chem das Christkind schlummert; allen voraus eilt
ein als Knecht Ruprecht ausgestatteter Flügelbote,
welcher zwar in der Rechten die Rute hält, aber
aus seinem Körbchen einen reichen Segen von
Geschenken ausschüttet. Heil allen, die reinen
Herzens sind!

Wie oft hat er dasselbe Thema, immer neu,
in seinen köstlichen Holzschnitten wiederholt. Da
 
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