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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0076
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24

das Ganze abzuschließen. Ein ebenso sinnig und
lebensvoll durchdachter Zyklus, wie die Bilder-
reihe „D a s liebe B r o t" uud das ebenso un-
entbehrliche Wort Gottes, welches der tiessinnige
Maler überall als Hintergrund auftauchen läßt, ist
ein Werk, welches in seinem „Vater Unser"
zum glanzvollen Abschluß, man könnte sagen, zur
Krone seiner Schöpfungen reifte.

H *

*

Was nach dem Kanon des scharfsichtigen Aristo-
teles die Griechen von den Erzeugnissen aller
echten Kunst verlangten, daß selbe den Menschen
emporhebe aus dem gewöhnlichen Leben und dieser
dadurch gestählt werde zum Kampfe gegen die
Leidenschaften und unausbleiblichen Wechselsälle
desLebens, — das leistet auch unserLudwig Richter
in seiner Weise und in seiner Sprache. Jndem
er unscheinbar und ruhig an die uns umgebende
Alltäglichkeit anknüpft und davon seinen Ausgang
nimmt, weiß er den Beschauer doch unvermerkt
höher zu leiten; er führt ihn, ohne je den festen

Bild 38. Aus: Der gute Hirte: „Am Morgen".
A. Dürr, Leipzig.

Boden zu verlieren, ohne theatralischen Auswand
und Phantasterei auf ein Gebiet, wo dem Erden-
bewohner unsäglich heimlich und wohlig zumute
wird, indem er sein Auge berührt und für
den Genuß der ureinfachsten, in allem Geschaf-
fenen steckenden Schönheit empfänglich macht
und alles mit jenem göttlichen Lichte übergießt,
welchesseitdenTagen desParadieses denMenschen
beinahe abhanden gekommen ist. Gerade hierin
zeigt sich Richter als der sinnige Dichter und
echte Künstler, welcher auch im Kleinen das Größte
zu leisten versteht. Er schildert freilich keine
aufregenden Begebenheiten, keine welthistorischen
Momente; aber seine Bilder wirken auf die Emp-
findungen unseres Gemütes, Gefühles und Her-
zens um so tiefer, als er sich ganz ausschließlich
aus den engen Raum eines fest bestimmten Kreises
beschränkt, diesen jedoch nach allen Seiten stets
neu mit ungeschwächter Frische und Freudigkeit
zeichnet.

Es ist das deutsche Familienleben,
was aus jedem der Bilder uns poetisch entgegen-
leuchtet. Darum sind sie auch jedem verständlich;
das Kind begrüßt sie- ebenso wie der Erwachsene.

Bild 89. Aus dem Kinderengel: „Wenn die Kinder schlafen ein".
A. Dnrr, Leipzig.

Den Schauplatz bildet die Wohn- und Kinder-
stube. Vor der Haustüre die rebenumrankte
Laube, die Straße mit altertümlichen Erkern und
Türmchen an den Häusern, draußen der Wald
mit prächtigen Aussichten in die duftige Ferne:
Das gibt den Rahmen; worin sich das bewegt
und entfaltet, was wir täglich selbst erleben, wor-
an wir vorübergehen, ohne die darin liegende
Poesie und Schönheit zu bemerken und zu er-
fahren (vgl. Bild 56).

Ebenso wieJeremiasGotthelf führt auchRichter
das Familienleben vor nach dessen heiteren und
anmutigen, aber auch nach ernsten und tief er-
greifenden Seiten: „Des Kindes Leben von der
Taufe an (Bild 51), wie es zuerst auf der Mutter
Schoß in die fremde Welt hinausschaut; die selige
Freude derEltern am erstenLächeln (vgl.Bild 53),
an dentastendenVer-
suchen des Kindes,
seine kleinen Glieder
zu gebrauchen, seine
Entwicklungen bis
zum ersten Schul-
gangmitseinenFreu-
denund Leiden;seine
Spiele in der Stube
und auf der Straße,
in Feld und Wald,
aufderWiese,inFeld
und Busch (vgl. Bil-
der 3, 8, 42, 45,

47, 55, 65 u. a.).

Dann die heiligen
Feste, voraus mit
dem Christbaum!

Jm Sommer fröh-
liche Wanderschast
mit Eltern und Ge-
schwistern in Gottes

Bild 40. Freude in Ehren.

Aus Hebel, Alemannische Gedichte.
 
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