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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0077
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schöner Welt (vgl. Bild 35), in welcher in reicher
Landschaft selten das Kirchlein oben auf lveit ra-
gender Höhe mangelt". Das Mädchen erblüht zur
Jungfrau. Der Knabe löst sich vom Hause der
Eltern. Jhr Segen begleitet ihn, Gottes Gnade
behütet ihn. Aus dem Iünglinge, der fröhlich
jauchzend durch die weite, weite Welt gezogen,
wird ein kräftiger Mann, aus der Jungfrau ein
züchtig Weib. Sie bauen ihr Nest, wie die
Schwalbe unter ihrem Dach, und er schreibt ver-
gnügt über die Haustüre: „Der Herr segne deinen
Eingang und Ausgang". So geht es nun weiter
zu Kindern und Enkeln!

Es sind wahre Lieder wie von Uhland und
Eichendorff, herzwarme Melodien wie von Men-
delssohn-Bartholdy. Wir grüßen hier überall
die Geister! Das Leben heischt Mühe und Arbeit,

Bild 41. Zcig, Chind! Wie het sel Spützlt gseit? — Bittl
Aus Hebel, Alcmannische Gedichtc.

bietet aber bei Genügsamkeit und Frieden eine
Fülle reiner Freuden. Wie köstlich illustrierte
Richter die Verse des ehrlichen „Wandsbeker
Boten":

Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabasterl
Sie däu'n sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Weib und Kind
Ein rechtes Magenpflasterl

oder die Szene, wo die Mutter den dampfenden
Suppentopfbringt, begleitetvon ihren in freudiger
Geschäftigkeit mittrippelnden Kleinen, welche im
voraus unter schmatzendem Zungenschlag die
weitere Zukost nachtragen.

Überall ist das „Arbeite und Bete". Die
Mutter betet mit den Kindern, der Hausvater
spricht den Morgen- und Abendsegen. Vor dem
Essen kommt das Tischgebet. Und wie festlich steht
den Leuten der Sonntag ins Gesicht geschrieben!

Holland, Ludwig Richtcr

Bild 42. Am Vogelnest. Aus dem Kinderengel. A. Dürr.

Welche Ruhe in Flur und Feld, in Wald und
Au. Das ist wahrlich, wie der geistverwandte
Eichendorff singt: „als ging' der Herr durchs
stille Feld"! Und sichtbar waltet Gottes schützende
Hand. Die Engel behüten das Kind (Bild 39),
sie spielen mit ihm, winden ihm Kränze und
warnen vor Abwegen. Sie bringen den Früh-
ling, benetzen das Ackerfeld mit himmlischem Tau.
Sie tragen hoch vom Himmel herab dem armen
frierenden Kind den „Christbamn" — wer kennt
nicht den seligen Weihnachts-Freudenjubel Rich-
ters! — und schütten mit vollen Händen ihm
Gaben in den Schoß.

Und gerade Richters „Vater Unser" ist
voll von solchen feinen, tiefpoetischen Zügen. Ein
Musterbild und dieKrone seiner lieblich dichtenden
Kunst. Die Widmung trägt den Namen des
höchstseligen Königs Johann von Sachsen, des
großen Dante-Kenners, des Exegeten und Über-
setzers der Divirin ooininsäin. Gewiß hat nur die
herzlichste Verehrung und wahre Anhänglichkeit
an diesen Kunstfreund dem Maler, der sonst
keines seiner Werke mit einer Widmung versah,
diese Ehrung eingegeben.

Bild 43. Jn Gedankcn. Aus Hebel, Alemannische Gedichte.
 
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