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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Ludwig Richter
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Bild 44. Der Dorfgoiger. Ölgemälde. Jn Prioatbesitz.

Die erste Bitte führt in eine ländliche Familie,
auf welcher tagsüber der schwere Druck der Feld-
arbeit lastet; sie haben ihr weidlich Stück ge-
schafft; nun rasten sie in der Abendkühle unter
dem Vordache des Hauses: „der Mond ist auf-
gegangen, die goldenen Sternlein prangen am
Himmel hell und klar"; die Welt liegt darunter
in tiefer Ruhe; das Kirchlein ragt von ferne mit
dem kleinen Gottesacker, wo manche Frucht der
Ewigkeit entgegenreift. Alles ist still und schweigt
in hehrer Feier, nur das Brünnlein rauscht ver-
schlafen. Da schauen sie einträchtig hinauf zu
dem die Ehre Gottes erzählenden Himmel; kein
Wort kommt über ihre Lippen; alle sind in stum-
mes. anbetendes Schauen verloren; nur das Töch-
terchen wagt vielleicht
dieFrage, auf welchem
Sterne dort oben ihr
Brüderlein wohne. Das
Kleinsteliegtaber schon
drinnen im tiefsten
Schlaf, und die Engel-
chen umspielen es im
Traum und erzählen
ihm vom lieben Gott
und dem himmlischeu
Paradies.

Das nächste Blatt
zeigt einenhellenSonn-
tagsmorgen; die from-
menBeterwallen durch
wogende Saatselder
zumKirchlein, das aus
waldgrüner Einsamkeit
auf den tief unten in
die weiten Lande hin-
ausziehenden Strom
sieht. Da ist eiu altes

Großelternpaar mit ihrem
drallen Enkel; fröhliche
Mädchen pflücken an der
Hecke ein Röslein ab. Die
übrigen sind weiter voraus
und treten schon unter das
hölzerne Vordach der be-
scheidenen Landkirche. Ein
Engel mit dem Weihrauch-
faß läutet in den Lüften,
daß esZeit sei, denNamen
des Herrn zu heiligen.

Der Preis, das schönste
in der ganzen Reihe zu
sein, gehört wohl dem fol-
genden Blatt: „Zu uns
komme dein Reich!" Jm
Schatten eines mächtigen
Baumes sitzt die Mutter
und lehrt die Kindlein be-
ten; ihr zu Füßen an den
knorrigen Wurzeln, von
duckenden Häschen um-
spielt,hockteinekleine,holde
Kolonie, vier Mägdlein und ihr Brüderchen;
die Kleine hält die Kleinere auf dem Schoße uud
diese ihr Puppenspielzeug; einer anderen dient zu
Sonnenschutz ein großes, überm Köpfchen gehal-
tenes Kohlblatt. Verwundert gucken die übrigen,
atemlos horchend, auf einEngelchen, welches leicht
beschwingt, ein Kränzel aus den Locken, doch im
Kostüm eines bäuerlichenKindes vor ihnen sitzend,
von wunderbaren Dingen erzählt. Die Kleinen
sind darüber ganz weg. Rückwärts müht sich der
Kleinste der Familie, ein armes Wuzelchen, auf
allen Vieren eine Treppe hinanzuklimmen; bei
dieser schweren Arbeit hält ein Engelchen es sest
am Hemdchen gefaßt und steht ihm schützend bei;
ein anderes lockt durch „Kuckuck- undVersteckspiel",

Bild 4S. Kindersymphonie. Farbige Zeichnung. Jn Privatbesitz.
 
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