Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

DOI Heft:
Ludwig Richter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0087
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
35

wünscht er, daß es mit derselben „rückwärts und
mit der Gesundheit wenigstens vorwärts gehe".
Die Zeichnungen zum Nieritz-Kalender sind ihm
ein „Gaudium", die große Radierung des „Christ-
baum" preßt ihm „täglich 48pfündige Stoßseufzer
aus, sie ist eine horrende Plage und liegt wie
ein Alp auf mir", zumal in Anbetracht eines fühl-
baren Augenleidens, welches den Gebrauch einer
„Luppe" erheischt. So faßt ihn die Angst, wieder
zum Pinsel greifen zu müssen: „Die Muse der
Olfärberei winkt mir schon lange, am Ende wird
sie mich am Kragen fassen"; trotz diesem Leiden
„soll mit Gottes Hülfe das Brünnlein frisch und
klar fortfließen, wenn es auch keine Mühlräder
mehr treiben kann." Auf die Mitteilung, daß sein
Sohn Heinrich den geschäftlichen Teil des Gaber-
schen Ateliers übernehmen und vielleicht einen
eigenen Verlag gründen müsse, scheint dann von
Wigands Seite ein bedenkliches Wort gefallen zu
sein mit dem Angstruf: „Oder wollen Sie gar
nichts (mehr) für mich machen, so ist's auch gut
und sür Sie vielleicht noch besser". Die Antwort
des immer bescheidenen Richter ist so herzig, lieb-
reich und unendlich dankbar, alle
Bedenkenund jedesMißverständ-
nisbeseitigend, daß allesim alten
Geleise blieb. Er kann es gar
nicht genügend schreiben: „So
verspare ich es lieber auf münd-
lich, bei so was muß der ganze
Kerl doch dabei stehen, Papier
und Tintethun's nicht: Sie wer-
den sehen, daß ich dann als eine
lebendige Danksäule vor Jhnen
stehe und als Denksäule Zeit
meines Lebens herumlaufe."

Leider löste allzufrüh Wi-
gands Tod am 9. Februar 1858
das schöne Band treuer Freund-

schaft. ch §

*

Jn Richters unscheinbaren
unddoch so zumHerzen sprechen-
den Schöpfungen steckt ein weit-
tragender Erfolg und eine nicht
hoch genug anzuschlagendeWirk-
samkeit. Nicht allein der Dichter,
auch der Künstler übt eine Mission.

Hätte er nichts weiter getan, als
unserer Jugend eine Menge der
schönsten Bilder in die Hände zu
geben, wenn, auf Richters Anre-
gung und durch Franz Poccis
Beispiel, die Kinderbücher völlig
umgestaltet wurden, so würde
dieser Umstand schon genügen,
ihm außer seinem Wert als
Künstler einen Ehrenplatz zu-
zuerkennen. Die Nmzeit denkt
freilich anders. Sie gibt der nur
zu leicht empfänglichen frühesten
Jugend mit Vorliebe Alfanze-

reien, Schnacken, Schnurren und die Spottsucht
über alles erregende, fratzenhafte Karikaturen in
die kleinen Hände. Sie wirken ebenso pervers wie
dieleidervielbeliebtenStreiche im„Tagebuch eines
bösen Buben". Solche in Ausführung zu bringen,
zum eigenen und fremden Schaden, mit schmach-
vollen Einfällen sich zu betätigen, übt einen un-
widerstehlichen Reiz: Eine wahre Anleitung für
künftige Zuchthäusler! Dergleichen bildet das
Vorspiel zu jener alle Grenzen überschwemmenden
und deshalb allseitig mit Entrüstung bekämpften
neuzeitlichen Schauer- und Schundliteratur. Das
ist gerade der äußerste Gegensatz von Richters
Jntention. Er lehrt die Kinder ebenso wie die
Eltern, die poetischen Reize im kleinsten Kreise
des deutschen Hauses und des alltäglichen Lebens
zu sühlen, zu achten und zu heben, indem er immer
wieder auf die hohe sittliche Würde des Familien-
lebens verweist. Noch mehr! Er betont den Segen
der Arbeit, den Trost des Glaubens und daß auch
in den engsten Verhältnissen doch noch eine Fülle
von Poesie zu finden sei. Es spricht aus jedem
Blatt eine Lehre, eine ethische Jdee. So arbeitet

Bild 68. Die Schmerzensreiche. Aus Beschauliches und Erbauliches.

5*
 
Annotationen