Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

DOI issue:
Weihnachten in der Malerei
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0100
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Perugino Abb. 9

Pinakothek, Perugia. Photographieoerlag Anderson, Rom

um wenigstens ein Beispiel jener unscheinbaren,
für den Spezialforscher so hochinteressanten Kunst
zu zeigen, verweisen wir auf die M ini atur aus
dem K l o st e r A lt o m ünst e r, die dem 12, Jrh,
entstammt (Abb, 5), Das göttliche Kind ist fest in
Windeln eingeschnürt und liegt in einer Art Krippe,
wie sie in Bildwerken des frühen Mittelalters oft
wiederkehrt, einem aufgemauerten Bau mit ein-
fachen Verzierungen. Auch die Haltung der Mutter
Maria mag uns befremdlich vorkommen, Jndes
hat die gesamte Kunst des Morgenlandes und
auch des Abendlandes vom 6, bis herein ins 14,,

15, Jahrh. die Mutter in der heiligen Nacht so

dargestellt, namlich als kräftige Frau,
die als Wöchnerin auf einer Art Polster
oder Matratze daliegt, Diese unserem
Empfinden widerstrebende uud auch
dem Dogma nicht recht entsprechende
Darstellungsweise sollte wohl den Zweck
haben, Mariens Würde als wirk-
licher Gottesgebärerin, vielleicht auch
lnanchen Jrrlehren jener frühesteu Zeit
gegenüber, besouders zu betonen. St.Jo-
seph sitzt, iu ernsthaftem Nachdenken
über das Unbegreifliche versunken, bei-
seite, Auch das berührt uns fremd-
artig, Allein wie jene Kunst aus dog-
matisch-lehrhaften Grüuden die wahre
Mutterschaft Mariens fast über Gebühr
hervorhob, so glaubte sie aus derselben
Absicht die Tatsache besonders unter-
streichen zu müssen, daß St, Joseph zum
göttlichen Kinde nur im Verhältnis eines
Pflegevaters stehe, Die für uns unge-
wöhnliche Auffassuug Marias und Jo-
sephs au der Krippe bedeutet also nur
das in die Sprache der Kunst übersetzte
Bekenntnis: „empfangen vom hl, Geist,
geboren aus Maria der Jungfrau",
Schon in den ältesten Darstellungen
der heiligen Nacht sinden wir regel-
mäßig den Ochsenund Esel. Die
Evaugelien berichten zwar nichts von
der Anwesenheit solcher Tiere, dagegen
faßte man eine Stelle bei Jsaias als
Prophezeiung, die sich bei der Ge-
burt Christi erfüllt habe: „Es kennet
der Ochs seinen Eigentümer und der
Esel die Krippe seines Herrn, Jsrael
aber kennet mich nicht und mein Volk
verstehts nicht," Dabei galt der sym-
bolfreudigen, altchristlichen und mittel-
alterlichen Zeit der Ochse als Sinnbild
des jüdischen Volkes, der Esel als Sinn-
bild des Heidentums.

Der Meister, der in Jtalien die
Malerei aus der Starrheit des alten
Stiles besreite, ist der große Florentiner
Giotto (1266 bis 1337). Welch unge-
heuren Fortschritt bedeutet das hier
wiedergegebene Wandgemälde (Abb, 6)
gegenüber der früher betrachteten Mi-
niatur! Allerdings sind in altertümlicher Manier
drei Szenen iu einem Bilde vereinigt, Außer der
eigentlichen Weihnachtsszene die Verkündigung au
die Hirten, und ganz vorn die Darstellung, wie
das Neugeborene von zwei Dienerinnen gebadet
wird. Letztere Szene fiudet sich in der frühmittel-
alterlichen Kunst sehr ost, sie ist ursprünglich aus
dem Orient herübergekommen. Die Auffassung
der heiligen Mutter und des Nährvaters klingt noch
stark an die frühere Tradition an,

Aber im übrigen geht ein kühner neuer Zug
durch Giottos Werk. Der Schauplatz der Hand-
lung ist deutlich, wenn auch etwas schematisch
 
Annotationen