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Die Kunst dem Volke <München> — 1909 (Nr. 1-4)

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Weihnachten in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.21073#0104
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der Florentiner SandroBotticelli (1446 bis
1510). Schon die ganze Anlage seines Weihnachts-
bildes (Abb. 1) zeigt eine höhere Stuse künstlerischer
Entwicklung, als noch bei Fiesole. Dort die wenigen
Gestalten fymmetrisch, aber auch ein wenig sche-
matisch um den Mittelpunkt angeordnet, hier viel
größere Freiheit, größerer Reichtum im Aufbau.
Das Bild besteht nicht mehr aus Einzelgestalten,
sondern aus geschlossenen Gruppen, die aller-
dings etwas locker unter sich zusammenhängen.
Jene in der folgenden Periode erzielte höchste
51unst der Komposition, wodurch auch die Gruppen

zu einer großen Einheit zusammengeschlossen wer-
den und das Ganze wie aus einem prachtvollen
Gusse erscheint, ist hier noch nicht ganz erreicht.
Überaus fein ist es dennoch, wie durch die drei
Gloriaengel auf dem Dache die Komposition in
der Mitte zusammengefaßt und eine Verbindung
von oben und unten hergestellt wird. Und dann
besitzt das Werk eine Menge Einzelschönheiten.
Das Kind ist ungemein frisch und lebendig, frei-
lich, das Göttliche ist in ihm weniger ausgeprägt.
Der Höhepunkt von Schönheit und Bedeutung
liegt eigentlich in Maria. Dieses zarte, inter-
essante Profil, dieser Aus-
druck von schwärmerisch-
wehmütiger Jnnigkeit, —
das ist so ganz Botticelli!
Von hohem Reiz sind auch
die Engelgestalten in den
Lüften in ihrer etwas
eckigen Grazie und dem
feinen Rhythmus ihrer
Bewegungen.

Das ganze Bild — und
das ist bezeichnend für
Botticelli, besonders für
seine Spätzeit, aus welcher
dies Werk stammt — will
eigentlich nicht das g e-
schichtliche Ereignis
der Geburt Christi darstel-
len, sondern es hat einen
theologisch-dogmatischen
Gedanken zur Grundlage:
die Geburt Christi ist das
Friedensfest zwi-
schen Himmel und
Erde. Darum die Olbäu-
me, die den Hintergrund
so schön umsäumen, darum
tragen die Engel alle Ol-
zweige in den Händen, die
oberen Olzweige mit gol-
denen Kronen — vielleicht
zur Versinubildlichung
ihres Liedes: „Ehre sei
Gott, Friede den Men-
schen!" Darum werden
von beiden Seiten die Hir-
ten durch Engel zur Krippe
geführt und dort mit Ol-
zweigen bekränzt. Und
ganz imVordergrund emp-
fangen drei Gestalten von
Engeln den Friedenskuß
zum Zeichen der Verbrü-
derung von Himmel und
Erde. Laut der beigegebe-
nen Jnschrift wollte der
Meister in diesen drei Ge-
stalten dem großen Predi-
gerSavonarola und seinen
beiden Gesährten, die mit

Guido Reni Abb. 1S

Fürstlich Liechtensteinsche Gemäldegalerie in Wien. Photographieverlag Franz Hanfstnngl, München
 
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