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Murillo
Abb. 15 Vatikanische Gemäldegaleric
Photographieverlag Brogt
Jesus sich selbst und die Welt um sich vergessen,
— wohl, sie ist überaus schön, aber sie weiß auch,
daß sie es ist, und ihre Andacht ist keine beson-
ders tiese. Kurz — über dem Streben nach Na-
turwahrheit und sinnlicher Schönheit ist die reli-
giöse Einfalt und Tiefe und Weihe verloren ge-
gangen. Ghirtandajos Weihnachtsbild läßt uns
bei aller liebenswürdigen Durchbildung des Klei-
nen — man sehe die Blümchen, den Stieglitz im
Vordergrund — eigentlich kalt, wir empfinden
recht wenig vom Zauber und von der Bedeutung
der heiligen Nacht.
Mehr religiöse Wärme liegt über dem Werke
Peruginos (1446^1523) des Lehrers Raffaels
(Abb. 9). Wenigstens hat der Meister dem Kinde,
das so nachdenklich ernst aus dem Bilde herausblickt,
immerhin einen Zug höherer Würde zu geben ge-
wußt. Maria ist voll träumerischcr Anmut und
auch St. Joseph ist eine Figur von klassischer
Schönheit. Was dem Talente Peruginos eigent-
lich mangelte, die monumentale Größe, das Jdeal
der Kunst des Cinquecento, das sucht er hier
mit allerhand äußerlichen Mitteln zu erzwingen.
Darum sind — um die Hauptgruppe bedeutsam
hervortreten zu lassen — alle übrigen Figuren
weit in den Hintergrund gerückt, darum hat der
Künstler den armen Stall von Bethlehem zur
machtvollen Renaissancehalle umgebildet, darum
ist die Symmetrie so übermäßig streng gewahrt,
daher überhaupt die ganze, wohlberechnete Dürf-
tigkeit der Komposition, zu der die weiche Anmut
der Gestalten einen so raffiniert feinen künstle-
rischen Gegensatz abgibt. Ein stimmungsvolles
und zugleich für des Meisters Art sehr bezeich-
nendes Weihnachtsbild!
PalmaVecchio (1480^1528) (Abb.10) ist ein
Venezianer. Wie ein venezianisches Volkslied klin-
gen seine Werke im süßen Wohllaut ihrer Formen-
sprache, im leuchtenden Goldton ihres Kolorits.
Wie wunderöoll wird die Komposition durch die
schöne Landschaft zusammengeschlossen und im
Gleichgewicht erhalten! Und diese Hirten sind aus
einer ganz anderen Welt als Ghirlandajos der
Natur abkopierte Bauern. Besonders schön ist
der eine mit seinem lockigen Johanneskopf, der
so naiv-innig zum Jesulein aufblickt und ihm
sein Lämmchen darbietet. Der andere scheint die
freundlich niederblickende Muttergottes zu fragen,
ob es ihm wohl gestattet sei, des Kindes Füßchen
zu küssen. Der religiöse Gehalt des Werkes ist
nicht allzu tief, aber es ist ein Meisterwerk von
wunderbarer, harmonischer Vollendung.
Wohl das berühmteste Weihnachtsbild der Welt
und eins der populärsten Bilder überhaupt ist die
„heilige Nacht" von Correggio (1494—1534)
in der Dresdner Galerie (Abb. 11). Correggio
ist der Maler der sinnlichen, verführrrischen Schön-
heit und des Lichtes. Gerade nach letzterer Seite
hin zeigt er sich hier in seiner ganzen, niemals
übertroffenen Meisterschaft. Keine Spur mehr
Murillo
Abb. 15 Vatikanische Gemäldegaleric
Photographieverlag Brogt
Jesus sich selbst und die Welt um sich vergessen,
— wohl, sie ist überaus schön, aber sie weiß auch,
daß sie es ist, und ihre Andacht ist keine beson-
ders tiese. Kurz — über dem Streben nach Na-
turwahrheit und sinnlicher Schönheit ist die reli-
giöse Einfalt und Tiefe und Weihe verloren ge-
gangen. Ghirtandajos Weihnachtsbild läßt uns
bei aller liebenswürdigen Durchbildung des Klei-
nen — man sehe die Blümchen, den Stieglitz im
Vordergrund — eigentlich kalt, wir empfinden
recht wenig vom Zauber und von der Bedeutung
der heiligen Nacht.
Mehr religiöse Wärme liegt über dem Werke
Peruginos (1446^1523) des Lehrers Raffaels
(Abb. 9). Wenigstens hat der Meister dem Kinde,
das so nachdenklich ernst aus dem Bilde herausblickt,
immerhin einen Zug höherer Würde zu geben ge-
wußt. Maria ist voll träumerischcr Anmut und
auch St. Joseph ist eine Figur von klassischer
Schönheit. Was dem Talente Peruginos eigent-
lich mangelte, die monumentale Größe, das Jdeal
der Kunst des Cinquecento, das sucht er hier
mit allerhand äußerlichen Mitteln zu erzwingen.
Darum sind — um die Hauptgruppe bedeutsam
hervortreten zu lassen — alle übrigen Figuren
weit in den Hintergrund gerückt, darum hat der
Künstler den armen Stall von Bethlehem zur
machtvollen Renaissancehalle umgebildet, darum
ist die Symmetrie so übermäßig streng gewahrt,
daher überhaupt die ganze, wohlberechnete Dürf-
tigkeit der Komposition, zu der die weiche Anmut
der Gestalten einen so raffiniert feinen künstle-
rischen Gegensatz abgibt. Ein stimmungsvolles
und zugleich für des Meisters Art sehr bezeich-
nendes Weihnachtsbild!
PalmaVecchio (1480^1528) (Abb.10) ist ein
Venezianer. Wie ein venezianisches Volkslied klin-
gen seine Werke im süßen Wohllaut ihrer Formen-
sprache, im leuchtenden Goldton ihres Kolorits.
Wie wunderöoll wird die Komposition durch die
schöne Landschaft zusammengeschlossen und im
Gleichgewicht erhalten! Und diese Hirten sind aus
einer ganz anderen Welt als Ghirlandajos der
Natur abkopierte Bauern. Besonders schön ist
der eine mit seinem lockigen Johanneskopf, der
so naiv-innig zum Jesulein aufblickt und ihm
sein Lämmchen darbietet. Der andere scheint die
freundlich niederblickende Muttergottes zu fragen,
ob es ihm wohl gestattet sei, des Kindes Füßchen
zu küssen. Der religiöse Gehalt des Werkes ist
nicht allzu tief, aber es ist ein Meisterwerk von
wunderbarer, harmonischer Vollendung.
Wohl das berühmteste Weihnachtsbild der Welt
und eins der populärsten Bilder überhaupt ist die
„heilige Nacht" von Correggio (1494—1534)
in der Dresdner Galerie (Abb. 11). Correggio
ist der Maler der sinnlichen, verführrrischen Schön-
heit und des Lichtes. Gerade nach letzterer Seite
hin zeigt er sich hier in seiner ganzen, niemals
übertroffenen Meisterschaft. Keine Spur mehr