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Die Kunst dem Volke <München> — 1911 (Nr. 5-8)

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Berühmte Kathedralen des Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.21075#0029
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Jtalien die stolze Herrschaft des staufischen Kaiser-
hauses. Jn allen Kulturländern das Aufblühen der
Städte. Sie errangen bürgerliche Selbständigkeit,
es glänzten die Universitäten. Auf Burgen und
Schlössern schimmerte sonnig das Leben des srommen
und starken, kampfes-, sanges- und minnefrohen
Rittertums. Ju England ersolgte die Begründung
der parlamentarischen Verfassung. Jn Frankreich
gab Paris den Ton an und zog nüt seiner Universität
Angehörige aller Nationen an sich. Auch viele andere
Städte waren dort schon unter der Regierung Phi-
lipps II. zu Glanz und Bedeutung gelangt. Am

die Kunstwerke der Antike. Die Kirche, zumal unter
Jnnocenz III., leuchtete auch im 13. Jahrhundert an
der Spitze aller Kultur, sie führte, trug die Krone
und behielt das Szepter, so schwer sie zuzeiten auch
kämpfen mußte.

Bei dem allgemeinen gewaltigen Aufschwunge
war sie allen voran. Anders wurden die Bedürfnisse
des kirchlichen Lebens. Die Majestät ihrer Herrschaft
machte ueue Ausdrucksformen notweudig, Formen,
in denen der neue Zustand, der erweiterte Stand-
punkt der Kirche innerlich und äußerlich, nach der
idealen wie nach der realen Seite hin seine Erfüllung

Abb. 35 <Text S. Lg)

Florenz, Dom

wichtigsten aber war das Regiment Ludwigs IX.,
des Heiligen. Jm Süden Spaniens behauptete sich
noch das maurische Reich als westlicher Ausläufer
einer staunenswürdigen, fast überreichen Kultur, die
ihre bunt blühenden, üppigen Ranken von der Straße
von Gibraltar bis zum fernen Jndien und nach
China hinein schlang. Diese orientalische und die
abendländische Welt sinden wir durch die Kreuzzüge
in lebhaften, fruchtbaren Austausch ihrer Kultur-
güter gesetzt. Wir sehen das Abendland den Reichtunr
seiner Wissenschaft und Künste vermehren und ver-
schönern durch die im Morgenlande gewonnenen
Kenntnisse. Denn >vas wäre dort nicht aufs kostbarste
M finden gewesen? Alles bis auf eins. Bis auf den
Geist des Christentums! Und darum konnte alles,
was der Orient der damaligen okzidentalen Welt
verschwenderisch gab, für diese dvch erst wahren
Nutzen und rechte Bedeutung gelvinnen, wenn es
wit diesem Geiste durchtränkt ivard. So erfüllten
einst die alten Christen nrit dem Geiste ihres Glaubens

und Symbolisierung fand. Und weil die Kirche alle
Äußerungen des Lebens umfaßte, mit ihren Jdealeir
erfüllte und lenkte, so spiegelt sich in den unver-
gleichlichen Schöpfungen der gotischen Kunst der
Geist jenes wunderbaren Zeitalters nach allen seinen
v erschied enartigsten Richtungen.

Die Gotik ist nicht urplötzlich entstanden, sie hat
schon angefangen, ihre neuen konstruktiven Gedank'en
in edeln Bauwerken auszudrücken, als die ronranische
Kunst noch in voller Krast stand. Allmählich hat sie
immer mehr Gebiet errungen und hat die romanische
gezwungen, sich ihr zu unterwerfen, indem sie ihr
den wichtigsten neuen Gedanken aufnötigte, der die
ganze Baukunst des abendländischen Mittelalters
unrwandelte, den Gedanken einer durch veränderte
Grundsätze des Gewölbebaues ganz neu geschaffenen
Raumkunst. Erweiterung, Verschönerung, Steige-
rung des Eindruckes verlangte von den Kirchen, die
man neu schuf, der stolze Geist der Zeit. Seinem
Zuge nach oben waren die Flügel gebunden, so lange

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