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Die Kunst dem Volke <München> — 1911 (Nr. 5-8)

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Joseph Ritter von Führich sein Leben und seine Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.21075#0055
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Abb. 11 (Text S. 8)

Kunst eines ungebil-
deten Zeitalters'? —

Mein erstes Ge-
fühl war ein Ge-
misch von Zorn
und tiefer Rnh-
rung. —

Jch hatte wenig-
stens in der änßern
Form grobe Mängel
und schwächlicheSchü-
lerhaftigkeit zu finden
erwartet, wenn ich
auch, in bezug auf den
Geist, eines anderen
gewärtig war, — und
hier stand eine Form
vor mir, freilich im
schneidenden Gegen-

satze mit derjenigen, die vor den Augen der Ver-
ächter unserer großen Vorfahren Gnade gefunden
und die ihre charakterloseGlätte und Gedunsenheit,
der mißverstandenen Antike entborgt, gern als
Schönheit und ihre affektierte Weichlichkeit als
Grazie verkaufen möchte. Hier stand eine Form,
hervorgegangen aus der tiesen Erkenntnis ihrer
Bedeutung, und diese erschien wieder, gestützt auf
Kirchlichkeit, als Allgemeines und Nationalität
als Besonderes, wie beides sich in einer Persön-
lichkeit abspiegelt. Der aus dem falschen Schön-
heitssiune heroorgegangenen, verwischten Cha-
rakterlosigkeit der gewöhnlichen akademischen
Kunst gegenüber stand hier vor mir eine scharfe,
großartige Charakteristik, welche die Gestalten —
sie wie zu alten Bekanuten machend — dnrch und
durch beherrsch-
te." —

Jn bitteren
Worten macht
sich seine Künst-
lerseeleLuftüber
die „unbestimm-
ten Wolkenhül-
len oder naßan-
klebenden Dra-
perien", „die
Phantasielosig-
keit und den
Mangel an Er-
sindung der in
anderer Weise
beschönigenden
Gliedermanns-
mäntel"; er ju-
belt über „die
kräftige Plastik
auch bei Gegen-
ständen mpsti-
scher Art, über
die priesterlichen
Engel statt der

nackten, geflügel- Uhb. is (Tcxt S. i»)

Aus Führichs „Genofeva" (Entivnrs 1830)

ten Kinder und Amo-
retten und jener, mit
einenr nackten Arme
oder Beine kokettieren-
den Znütterwesen von
Genius und Nymphe"
und begrüßt „die hei-
ligen Gestalten in ihrer
Eigentümlichkeit, wür-
dig, ernst und klar —
in ihrer treuherzigen
Wärme". — „Hier",
so sagt er, „fühlte ich
mit Freude und Be-
ruhigung, daß Phan-
tasie am Künstler kein
zu belächelnder Fehler
sei, daß die Kunst es
mit der Liebe gemein
habe, auch den klcinsten Gegenstand, der mit dem
Geliebten in irgend einer Beziehung steht, liebend
zu beachten." —

Und er kommt zu dem Schlusse: „Kein an-
derer Meister hätte damals auf mich die Wirkung
ausgeübt, als gerade Dürer; eine mangelhaftere,
äußere Form hätte mich, wenn auch nicht gerade
abgestoßen, doch wenigstens irre gemacht. Einen
der alten Stilisten hätte ich nicht oder doch nur
zum Teil verstanden. Bei Dürer erweiterte sich
meine Erkenntnis der Mittel, mit welchen die
bildende Kunst wirken kann, und diese Erkennt-
nis war eine lebendige, iveil die Mittel, nicht ab-
gezogen, bloß als solche, sondern in ihrer An-
wendung und ihrem Zusammenhange mit dem
Zwecke erschienen. Jch fühlte von hier an

mein Ver -
hältuis zur
Kunst als ein
festeres, be-
st i m m t e r e s
und mir kla-
rer bewuß-
tes; so wie
anderseits
das Verhält-
nisder Kunst
zum Leben
mir um vieles
deutlicher ge-
wordenw ar."

Führich emp-
fing in jenem
Momente „den
Drang nach
einerbestimmten
Richtung, die
seinen Bestre-
bungen Halt und
Festigkeit zu ge-
ben imstande
wäre" — „die

St. Wcnzeslaus und d!e Armen Sehnsucht Nack)
 
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