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Die Kunst dem Volke <München> — 1911 (Nr. 5-8)

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Moritz von Schwind
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https://doi.org/10.11588/diglit.21075#0092
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Meist mußten sie alle, wie Parzival, die Freudeu der
Zukunft vorerst uoch mit schwerem Ringeu und ehr-
licher Arbeit verziusen. Schwind war überaus fleißig,
um durch graphische Arbeiten seiner Mutter und den
Geschwistern förderlich zu tverden: er zeichnete mit
überquellender Erfindung iinmer neue Skizzen, Bil-
der, Portraits, Festkarteu, Bignetten zu Musikalien,
Bilderbogen mit fechtenden uud ringenden Riltern für
den Verleger Trentsensky, illustrierte R o m anzen
und Balladen, lieferte eine ganze Reihe von
teilweise sehr satyrischen „G r a b m a I - P r o j e k -
t e n", eine lange Folge von damals fo beliebten
„K r ä w i n k e l a d e n", darunter wahre Prototypen
seines Humors, z. B. wie das Kind des Bürgermeisters
bei Wasser aufgezogen wird, wie der berühmte Stadt-
vater „zu sich selbst kommt" oder einen „Rutscher aufs
Land" wagt. Eine in sechs Aventüren abgespielte,
köstliche „Landpartie"
nach dem damals vielbe-
suchten L e o p o l di b e rg,
wobei jedem der vier auch
den Tempermnenten ent-
sprechenden Paare vonsTeil-
nehmern ein unverhofftes
Malheurgeschieht, zeigt seine
Virtuosität, mit dem Stift
zu erzählen. Schon beinr
Einsteigen in den vom Lohn-
kutscher Janschke gemieteten
offenen „Wurst"-Wagen zer-
bricht das vorsorglich gefüllte
Weinköfferchen — ein böses
Omen! Oben auf der „Schö-
nen Aussicht" zerzaust der
schueidendeWind die leichten
Kleider, entführt Herren- und
Damenhüte und andere Re-
quisiten: ein jäher Sturz
zerreißt ein Beinkleid an
empfindlicher Stelle. Die
Schmerzen sühnt ein ergiebig
Mittagsmahl mit erwünsch-
ter Siesta. Auf der weite-
ren Wanderung flüchtet die
Gesellschaft entsetzt aus einem Hohlwege vor einer
heimkehrenden Viehherde in die ummauerten Wein-
berge und wird ob unbefugten Einbruchs vom Wächter
gepfändet. Zum Finale bricht während eines plötzlich
niedergehenden Gewitters ein Wagenrad, woraus
die gehvrig durchweichten Ausflügler in geisterhaftem
Aufzug in die Stadt zurückhumpeln.

Eine ernste historische Leistung ergab in großen
Blättern die prachtvoll kostümierte Reihe der „U n-
garischen Könige" rmd eine Anzahl von Por-
träts zu Raimunds Schauspielen. Neue Ilberraschung
bot die lange Serie von „B e rl e g enh e i t en":
Szenen unfreiwilliger Komik aus dem täglichen Leben
— ein unerschöpflicher Vorrat. Da ist z. B. ein kurz-
sichtiger Sonntagsjäger, welcher den Bock schoß, eine
Gais zu erlegen: zwei Dämcheu finden ihren galanten
Tänzer, auf ihren riesigen Federhüten und gesteppten
Seidenmäntelchen schlummernd in der Garderobe

sitzeud. Welch schadensrohes Unheil vermag ein an die
unrechte Adresse gekommener Brief anzurichten: Das
reizende Mägdlein birgt die glühenden Wangen mit
uiedergebeugtem Antlitz, ganz in ihre Stickerei ver-
senkt, ihr kamn erbsengroßes Gesichtchen ist von den
wallenden Locken fast verdeckt und doch sieht man or-
dentlich, wie sie holdselig und schamübergossen in der
Klemme sitzt. Das ist in Wirklichkeit empfundene
wahre Seelenmalerei! — Ein dummer Geck hat seine
angebetete Donna auf der Eisfahrt mit deiu Schlitten
unglücklicherweise in einen Schneehaufen umgeworfen
und bittet jetzt geist- und fassuugslos, statt denr Opfer
aufzuhelfen, mit einer Armensündermiene Händefal-
tend und einem „Es ist nicht gern geschehen!" um den
jetzt doppelt unverdienten „Pardon". An einemTage,
wo nach Wiener Sprachgebrauch „Blasius" im Ka-
lender steht, bricht ein niedliches, dähinhastendes, mit
Päcken beladenes Laden-
fräulein, das keinen Finger
srei hat, um Hut und Regen-
mantel zu hälten, in den
herzlichen Jammerruf aus
„O wenu ich doch die Schach-
tel nicht hättel" und das
Kind ist so nett, anmutig,
züchtig rmd hilfsbedürftig.
Llrmer Wurm! Uud der
Künsller war vielleicht glück-
lich, eineu schnöden, schmutzi-
gen Papiergulden als Hono-
rar zu erhaschen. — Zu einer
Ausgabe der Märchen von
„Tausend und Eine
Nacht" lieferte Schwind
kleine Randleisten, welche
sogar Goethes volles Jnter-
esse erregten, ebenso zu einer
ganz verschollenen Shake-
speare -Übersetzung.

Jnr Jahre 1825 entstand
der aus dreißig Blättern be-
stehende „Hochzeitszug
d es Figaro", welcherGrill-
parzers Entzücken gewann,
wenn er darüber versicherte, „noch nach zwanzig Jah-
ren jede einzelne Figur klar im Gedächtnis zu haben".
Das ganze bereitete selbstBeethoven aus seinem letzten
Krankenlager „helle Stunden der Freude"! Nach
dessen Tode gelangte der Band an den Künstler zuriick.
Das Opus kam erst 1901 durch Alois Trost (Wien, inr
Berlag der Gesellschaft sür vervielfältigende Kunst) im
Originalsaksimile, sogar mit Jmitation des ursprüng-
lichen Einbandes, in die Welt. Voraus Musikanten mit
jenen charakteristischen Physiognomien, wie selbe
Schwind so gerne und immer ihren Jnstrumenten
gemäß zu finden wußte, dann Tänzer, Soldaten,
Pagen, kürz allerlei Bolk: Figaro rmd Susanne als
Brautpaar, Bartolo und Marceline, der Graf und die
Gräfin gehen auch nrit nebst ällerlei Gästen und Mas-
ken: der lustige Papageno, Cherubin und die niedliche
Barbarina — über hundert Personen, unter denselben
(auf Blatt 19) Schwind mit Schlapphut und Degen und
 
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