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Abb. 40 <Text S. sv)
Die Morgenstimde
Originalphot. F. Hanfstaengl
Nieinals zuvor war Mozarts wundersame Musik
in so gleichgearteter Schönheit und prickelnder humo-
ristischer Grazie vor unser Auge getreten. Kein Maler
hatte bisher etwas auch nur Annäherndes geschaffen.
Da gilt das Wort im vollen Umfang: „Wenn du ein
Geist bist, so treffe den Geist H' Ebenso kongeniah jeder
in seiner Weise voll erfaßt, war die Charakteristik der
übrigen Tondichter: Wie ist der Paradiesesjubel der
„Schöpfung" wiedergegeben, Dittersdorfs schelmische
Philisterhaftigkeit, der liederfröhliche Franz Schubert,
der heute noch dramatisch packende „Wasserträger", die
prachtvoll dahinrauschende „Jessonda", der echte deut-
sche „Freischütz", der noble „Barbier" usw.
Schwind saß fast unausgesetzt, vom frühen Mor-
gen bis zum Abend, meist nur mit einer einzigen kurzen
Pause, ganz bei und vor seinen Bildern; freilich,
wenn er in traute Gesellschaft kam, die den Ver-
wöhnten sorgsam und fast verzärtelnd pflegte, da
brach dann häufig die verhaltene Gegenströmung los,
und wer gerade in einen solchen Lawinensturz böser
Laune kam, welche ebenso rasch wieder in feinste Emp-
findung umspringen konnte, der mußte mit des Mei-
sters Schrullen schon sehr vertraut sein, um nicht an ihm
irre zu werden. Sein altes geliebtes „Wien" hatte sich
völlig geändert, darüber brach er in Groll und Zorn
aus, drohte der „ganzen Wirtschaft" den Rücken zu
wenden und fühlte sich doch immer so wohlig in seinem
Elemeut. Es war das zärtlichste Schmolleu der Liebe.
Der echte Naturgrundzug der Wiener, jenes „Graun-
zen" uud Benergeln, eine periodisch wiederkehreude
Krankheit, an welcher auch andere Landstriche leiden,
die den gemütlichen Münchner ebenso unliebenswürdig
macht, die köstlichen Badenser, Schwaben und Tiroler
mit wahrer Berserkerwut packt und in dem Schmer-
zensschrei gipfelt „So etwas kaun nur bei uns vorkom-
men!" — eine konsternierende Fassungslosigkeit, welche
in dem „tout 60MM6 obs? uous" zum internationalen
Ausdruck gelangte. Wehe aber dem Fremden, welcher
zuerst mit einer solchen rigorosen Anklage beginneu
würde, sein Los wäre das eines verunglückten Aero-
nauten! Mit solcher Prognose war auch der große
Grillparzer, der heitere Bauernfeld, der edle Anasta-
sius Grün zu behandeln. Diese Malaria stellt in allen
Dialekten und Sprachen der Welt ein unzählbar in
allen Schattierungen variierendes Kontingent, wel-
ches standhaft und ausdauernd, je nach dem landläu-
figen Rezept der „alten Deutschen", mit „Heurigem"
an der Donau, iu Berlin und anderswo mit dem „Bock,
Salvator oder Hofbräu", nötigenfalls mit Seewein
„seine Krankheit" hiuabschwemmt, kuriert oder neu
züchtet. — Dazu kam noch der Krieg (1866), sein
Österreich war von zwei Seiten angegriffen und mit
„Zermalmung" bedroht, weggefegt zu werden aus dem
deutscheu Herzen. Grimmig faßte die Hand den Pinsel
— aber von seinem Groll kam kein Tropfen in seine
Kunst, war er doch fest überzeugt, daß „die Preußen
Abb. 40 <Text S. sv)
Die Morgenstimde
Originalphot. F. Hanfstaengl
Nieinals zuvor war Mozarts wundersame Musik
in so gleichgearteter Schönheit und prickelnder humo-
ristischer Grazie vor unser Auge getreten. Kein Maler
hatte bisher etwas auch nur Annäherndes geschaffen.
Da gilt das Wort im vollen Umfang: „Wenn du ein
Geist bist, so treffe den Geist H' Ebenso kongeniah jeder
in seiner Weise voll erfaßt, war die Charakteristik der
übrigen Tondichter: Wie ist der Paradiesesjubel der
„Schöpfung" wiedergegeben, Dittersdorfs schelmische
Philisterhaftigkeit, der liederfröhliche Franz Schubert,
der heute noch dramatisch packende „Wasserträger", die
prachtvoll dahinrauschende „Jessonda", der echte deut-
sche „Freischütz", der noble „Barbier" usw.
Schwind saß fast unausgesetzt, vom frühen Mor-
gen bis zum Abend, meist nur mit einer einzigen kurzen
Pause, ganz bei und vor seinen Bildern; freilich,
wenn er in traute Gesellschaft kam, die den Ver-
wöhnten sorgsam und fast verzärtelnd pflegte, da
brach dann häufig die verhaltene Gegenströmung los,
und wer gerade in einen solchen Lawinensturz böser
Laune kam, welche ebenso rasch wieder in feinste Emp-
findung umspringen konnte, der mußte mit des Mei-
sters Schrullen schon sehr vertraut sein, um nicht an ihm
irre zu werden. Sein altes geliebtes „Wien" hatte sich
völlig geändert, darüber brach er in Groll und Zorn
aus, drohte der „ganzen Wirtschaft" den Rücken zu
wenden und fühlte sich doch immer so wohlig in seinem
Elemeut. Es war das zärtlichste Schmolleu der Liebe.
Der echte Naturgrundzug der Wiener, jenes „Graun-
zen" uud Benergeln, eine periodisch wiederkehreude
Krankheit, an welcher auch andere Landstriche leiden,
die den gemütlichen Münchner ebenso unliebenswürdig
macht, die köstlichen Badenser, Schwaben und Tiroler
mit wahrer Berserkerwut packt und in dem Schmer-
zensschrei gipfelt „So etwas kaun nur bei uns vorkom-
men!" — eine konsternierende Fassungslosigkeit, welche
in dem „tout 60MM6 obs? uous" zum internationalen
Ausdruck gelangte. Wehe aber dem Fremden, welcher
zuerst mit einer solchen rigorosen Anklage beginneu
würde, sein Los wäre das eines verunglückten Aero-
nauten! Mit solcher Prognose war auch der große
Grillparzer, der heitere Bauernfeld, der edle Anasta-
sius Grün zu behandeln. Diese Malaria stellt in allen
Dialekten und Sprachen der Welt ein unzählbar in
allen Schattierungen variierendes Kontingent, wel-
ches standhaft und ausdauernd, je nach dem landläu-
figen Rezept der „alten Deutschen", mit „Heurigem"
an der Donau, iu Berlin und anderswo mit dem „Bock,
Salvator oder Hofbräu", nötigenfalls mit Seewein
„seine Krankheit" hiuabschwemmt, kuriert oder neu
züchtet. — Dazu kam noch der Krieg (1866), sein
Österreich war von zwei Seiten angegriffen und mit
„Zermalmung" bedroht, weggefegt zu werden aus dem
deutscheu Herzen. Grimmig faßte die Hand den Pinsel
— aber von seinem Groll kam kein Tropfen in seine
Kunst, war er doch fest überzeugt, daß „die Preußen