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Die Kunst dem Volke <München> — 1913 (Nr. 13-16)

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Ein Besuch im Vatikan
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https://doi.org/10.11588/diglit.21070#0018
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Abb. 20 (Text S. I5> Phot. Alinari

Fra Angelico. Dic vier Evangelisten. Deckc aus der Kapellc Nicolaus V.

Urteil Salomons; aber das soll ja alles später
in stillem Beschauen genossen und wieder ge-
nossen werden.

Der Prälat zog den Professor aus den Höhen
des Entzückens durch die Bemerkung herab, daß
wir für die Audienz bei Sr. Heiligkeit keine Zeit
mehr zu verlieren hätten.

Unterdessen hatten auch die zu einer allge-
meinen Audienz Befohlenen sich schon teilweise
eingefunden, alle wurden in den großen Konsi-
storial-Saal (Abb. 16) geführt, wohin der Hl.
Vater nach Erledigung der Privataudienzen sich
begeben wird, um durch seinen Anblick und seinen
Segen Hunderte zu beglücken.

Vom Saale der flandrischen Teppiche traten
wir in den Thronsaal (Abb. 17), wo wir warten
mußten. Den zwei großen, mit weißen und
grünen Doppelvorhängeu gedämpften Fenstern
gegenüber erhebt sich unter einem reich gestickten
Baldachin über drei Stufen der päpstliche Thron,
den ich mir viel stolzer und prächtiger vorgestellt
hatte. An den Seitenwänden standen Marmor-
tische mit einer Pendule oder einer chinesischen Vase;
die Wände waren mit roten Seidentapeten über-
zogen, in welche das päpstliche Wappen einge-
webt war. Nobelgardisten und weltliche Kammer-
herren in prächtigen Uniformen versehen hier
den Dienst.

Wir hatten eben Zeit gehabt, das alles flüch-
tig zu überschauen, als wir gerusen und durch
einen Kammerherrn zum Hl. Vater geführt wur-
Den. Wir durchschritten vier kleine Sale, von
denen der zweite das Sterbezimmer Leos XIII. ist,

und der letzte, der kleinere Thronsaal, umnittelbar
andas Arbeitszimmer (Abb.18) Sr.Heiligkeitstößt.

Da ich im Auftrage meines Bischofs den
Peterspfennig der Diözese zu überreichen hatte,
war uus eine Privataudienz gewährt worden.

Als wir eintraten, erhob der Hl. Vater sich
von seinem Sessel vor dem großen Schreibtisch
(Abb. 19); wir knieten auf einem Knie, aber
wenn ich zum Ausdrucke meiner tiefsten kiudlichen
Verehrung dem Stellvertreter Christi gerne den
Fuß geküßt hätte, so hieß statt dessen der Papst
uns auf den roten Sesseln Platz nehmen, die
seinen Tisch umgaben.

Eine uubeschreiblich väterliche Güte sprach
aus dem gauzen Weseu, wie aus jedem Worte des
Hl. Vaters.

„Jch kenne und ich verehre Jhren Bischof,
sprach er; er ist nicht der letzte in der glänzenden
Reihe treuer Oberhirten, welche die Glorie der
Kirche in Deutschland sind. Sagen Sie ihm, daß
ich ihm und den Gläubigen für das Almosen
danke, das sie mir darbringen; sagen Sie ihm,
daß ich ihn und sein Domkapitel, welches Sie,
Herr Kanonikus, in so würdiger Weise vor dem
Papst vertreten, daß ich die ganze Geistlichkeit
und die gesamte Diözese psruiuuiitsr und
aus ganzem Herzen segne."

Dann sprach der Hl. Vater über die allge-
meinen kirchlichen Verhältnisse in der Heimat,
über die er sich vollkommen unterrichtet erwies,
und nachdem wir etwa zehn Minuten bei ihm
gewesen, entließ er uns huldvollst mit seinem
väterlichen Segen.
 
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