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Abb. 30 (Text S. 25)
Raffacl, Mcsse bon Bolscna
Phot. Alinari
gegeben, denen er Gestalt und Leben einflößen
wird; zwei Jahre lang ist sein Geist unablässig
von den Gesamtkompositionen, den Gruppen, den
Einzelfiguren in Stellung und Ausdruck erfüllt
gewesen, bis das künstlerische Ahnen Gestalt und
Vewegung gewann und alles und jedes sich an
den Platz stellte, den die großen Grundgedanken
seiner wunderbaren Farbendichtung ihm an-
wiesen. Weit ausgreifend führt der Meister zu-
nächst in einem Bilde aus dem Alten Testamente
die durch Himmelsmacht vollstreckte Vertrei-
bung Heliodors aus dem Tempel zu Jeru-
salem vor, wie es im dritten Kapitel des zweiten
Buches der Machabäer erzähltwird (Abb. 27). Se-
leukus, derKönig vonAsien,begierignachdenReich-
tümern des Tempels, sandte seinen Schatzmeister
Heliodorus, sich derselben zu bemächtigen. Ver-
gebens hielt ihm der Hohepriester Onias vor, daß
die im Tempel niedergelegten und seinem heiligen
Schutze anvertrauten Gelder Eigentum von Wit-
wen und Waisen seien: Heliodor drang, von
seinen bewaffneten Satelliten begleitet in das
Heiligtum. Aber nun erscheint in goldenerRüstung
ein gewaltiger Reiter, dessen Roß die Hufe der
Vorderfüße gegen den zu Boden stürzenden
Heliodor schlägt. DenReiter begleiten zweiJüng-
linge mit blitzenden Waffen und treiben die Tem-
Pelschänder von dannen. Der Künstler stellt in
den Hintergrund den Hohepriester Onias, der mit
dem Volke zu Gott um Hilfe fleht. Entsetzt durch
die himmlische Erscheinung lassen die Begleiter
Heliodors die Schätze fallen, die zerstreut auf der
Erde liegen. Eine Gruppe von Frauen sieht links
erschrocken dem Vorgange zu. — Nun aber rückt
der Künstler in einer höchst geistreichen Verbin-
dung das Vergangene in die Gegenwart, indem
er Papst Julius II., hoch auf dem Tragsessel,
Zeuge des himmlischen Strafgerichtes sein läßt.
Jn demselben Jahre 1512, wo Rafsael die Aus-
malung dieses Saales begann, tagte das Konzil
vom Lateran, das durch eine Reihe von Verord-
nungen aus dem Tempel der Kirche die Laster
und Mißbräuche hinaustreiben sollte, welche die
goldenen Schätze der Tugend und Heiligkeit be-
drohten, die in ihr hinterlegt sind.
Das Gemälde über bem Fenster, Petrus aus
dem Kerker des Herodes durch einen Engel
hinausgeleitet (Abb.28),fügtdemalttestamentlicheir
Bilde ein weiteres Zeugnis, aus der Itrkirche, für
das schützende Walten Gottes über seine Kirche
hinzu. Durch das Gitter des Kerkers schauen wir
in das von der Engelerscheinung hell erleuchtete
Jnnere, wo neben den schlafenden Wächtern der
Himmelsbote die Ketten des Apostels löst, um ihn
in die mondhelle Nacht hinauszuführen. — Auch
auf diesem Gemälde bilden zeitgenössische Er-
eignisse den Hintergrund. Am Ostersonntag,
11. April 1512, war das päpstlich-venezianische
Heer bei Ravenna durch den Feldherrn Lud-
wigsXII. von Frankreich, Gaston de Foix, besiegt
Abb. 30 (Text S. 25)
Raffacl, Mcsse bon Bolscna
Phot. Alinari
gegeben, denen er Gestalt und Leben einflößen
wird; zwei Jahre lang ist sein Geist unablässig
von den Gesamtkompositionen, den Gruppen, den
Einzelfiguren in Stellung und Ausdruck erfüllt
gewesen, bis das künstlerische Ahnen Gestalt und
Vewegung gewann und alles und jedes sich an
den Platz stellte, den die großen Grundgedanken
seiner wunderbaren Farbendichtung ihm an-
wiesen. Weit ausgreifend führt der Meister zu-
nächst in einem Bilde aus dem Alten Testamente
die durch Himmelsmacht vollstreckte Vertrei-
bung Heliodors aus dem Tempel zu Jeru-
salem vor, wie es im dritten Kapitel des zweiten
Buches der Machabäer erzähltwird (Abb. 27). Se-
leukus, derKönig vonAsien,begierignachdenReich-
tümern des Tempels, sandte seinen Schatzmeister
Heliodorus, sich derselben zu bemächtigen. Ver-
gebens hielt ihm der Hohepriester Onias vor, daß
die im Tempel niedergelegten und seinem heiligen
Schutze anvertrauten Gelder Eigentum von Wit-
wen und Waisen seien: Heliodor drang, von
seinen bewaffneten Satelliten begleitet in das
Heiligtum. Aber nun erscheint in goldenerRüstung
ein gewaltiger Reiter, dessen Roß die Hufe der
Vorderfüße gegen den zu Boden stürzenden
Heliodor schlägt. DenReiter begleiten zweiJüng-
linge mit blitzenden Waffen und treiben die Tem-
Pelschänder von dannen. Der Künstler stellt in
den Hintergrund den Hohepriester Onias, der mit
dem Volke zu Gott um Hilfe fleht. Entsetzt durch
die himmlische Erscheinung lassen die Begleiter
Heliodors die Schätze fallen, die zerstreut auf der
Erde liegen. Eine Gruppe von Frauen sieht links
erschrocken dem Vorgange zu. — Nun aber rückt
der Künstler in einer höchst geistreichen Verbin-
dung das Vergangene in die Gegenwart, indem
er Papst Julius II., hoch auf dem Tragsessel,
Zeuge des himmlischen Strafgerichtes sein läßt.
Jn demselben Jahre 1512, wo Rafsael die Aus-
malung dieses Saales begann, tagte das Konzil
vom Lateran, das durch eine Reihe von Verord-
nungen aus dem Tempel der Kirche die Laster
und Mißbräuche hinaustreiben sollte, welche die
goldenen Schätze der Tugend und Heiligkeit be-
drohten, die in ihr hinterlegt sind.
Das Gemälde über bem Fenster, Petrus aus
dem Kerker des Herodes durch einen Engel
hinausgeleitet (Abb.28),fügtdemalttestamentlicheir
Bilde ein weiteres Zeugnis, aus der Itrkirche, für
das schützende Walten Gottes über seine Kirche
hinzu. Durch das Gitter des Kerkers schauen wir
in das von der Engelerscheinung hell erleuchtete
Jnnere, wo neben den schlafenden Wächtern der
Himmelsbote die Ketten des Apostels löst, um ihn
in die mondhelle Nacht hinauszuführen. — Auch
auf diesem Gemälde bilden zeitgenössische Er-
eignisse den Hintergrund. Am Ostersonntag,
11. April 1512, war das päpstlich-venezianische
Heer bei Ravenna durch den Feldherrn Lud-
wigsXII. von Frankreich, Gaston de Foix, besiegt