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Die Kunst dem Volke <München> — 1913 (Nr. 13-16)

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Die Altschwäbische Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.21070#0092
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Nbb. 5 Phologr. Gesellschafl

Meister des Wurzacher Allars, Anbetung der Könige (Texl S. 7)

Berlin, 5kaiser-Friedrich-Museum

Gewecktheit den Vergleich mit keinem
Bruderstamm zu scheuen. Es wäre auch
verfehlt, im Schwaben allgemein eiuen
wenigstens fürs praktische Leben untüch-
tigen Träumer zu sehen. Die schwäbischen
Handelsherrn des Mittelalters, das rege
Jndustriewesen im heutigen Schwaben-
lande beweisen das Gegenteil. Noch
manche bezeichnende Linie wäre zur Ver-
vollständigung des Charakterbildes der
ividerspruchsreichen Schwabennatur an-
zufügen, so als wertvolle Beigabe zu dem
sprichwörtlich gewordenen Wandertrieb die
Gabe leichter Anpassung und — in merk-
würdigem Gegensatz zu der idealistischen
Grundstimmung — eine Ader trockener,
berechnender Verstandesmäßigkeit. Präch-
tig in seiner Art schildert Fr. Vischer, selbst
ein echter Schwabe, das Naturell seines
Stammes:

„Vernagelt und sinnig, grobkantig und
minnig, blöckisch und innig,

Doch wie oft er entgleist, nicht umzu-
bringender ureigener Geist."

Der schwäbische Dialekt mit seinem Hang
ins Lässige, Breite und Eckige und der
auffallenden Vorliebe für die Verkleine-
rungsform ist recht ein Spiegelbild schwä-
bischen Wesens. Zum Klassischeu verklärt
tritt es uns unendlich liebenswürdig ent-
gegen in den Erzschwaben Hartmann von
Aue, Uhland, Mörike.

Überhaupt ist es eigentlich die Dicht-
kunst, zumal die Lyrik, zu welcher den
schwäbischen Stamm Neigung und Be-
gabung hinziehen. Aber auch in der
bildenden Kunst hat Schwaben seine
große Zeit gehabt.

Man mag vom spätern deutschenMittel-
alter denken wie man will, jedenfalls war
es eine Zeit gesunden starken Kunstlebens.
Und das ist daran das Besondere und
vielleicht Wertvollste: alles war Volks-
kunst, bodenwüchsige Heimatkunst. Jene
zunftgerechten, schlichten, dabei oft so tief
und innig und vornehm fühlenden Meister
waren echte Kinder des Volkes, für die
große Gemeinde ihres Volkes schufen sie,
und schöpften auch aus dem Gefühlsleben
des Volkes. Die hiimnelstürmenden Dom-
bauten, die geheimnisvoll funkelnde Pracht
der Flügelaltäre, die sanftglühenden Far-
ben der Tafelwerke, das alles ist der Aus-
druck von Empfindungen, die in den Tie-
fen des Volksgemütes lebten und webten.
Das Mittelalter kennt keine internationale
Kunstsprache. Wohl machen sich Zeitströ-
mungen überall geltend und „Einflüsse"
wirken herüber und hinüber, aber weder
die nationalen noch die Stannnesgrenzen
werden dadurch verwischt, und wie im
Dialekt und in der Tracht, so schafft sich

Abb. o

Meistcr dcs

Phot. Höfle

Lterzinger Altars, Mciriä Verkündigung (Text S. 9)
Ster^ina a. B.. Natbaus
 
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