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Bebenhausen, ein Tafelgemälde, worauf er Maria
als „Sitz der Weisheit" mit allem Reiz der früh-
gotischen Linienrhythmik schildert. Jn dieserfrühen,
rein klösterlichen Kunst kommt begreiflicherweise
persönliche und lokale Eigenart noch wenig zur
Geltung. Allein die Entwicklung schreitet iveiter.
Auf die Zeit der Klöster, auf die ritterliche Zeit
der Hohenstaufen, Schwabens politische Glanz-
epoche, folgt eine bürgerliche Kultur. Sie ent-
faltet sich in all den Städten und Städtchen, die
in der Frühzeit des Mittelalters — nirgends so
zahlreich wie grad im Schwabenlande — empor-
kommen. Hinter den schützenden Stadtmauern regt
sichs von aufstrebendem Gewerbe, es organisieren
sich die Zünfte, darin sich auch die Maler ein-
gliedern. Biedere Männer des Handwerks liefern
ihre solide Anstreicherarbeit, aber in manch einem
glüht dabei auch der Funke höheren künstlerischen
Strebens, nnd diese bürgerlichen Aleister sind es,
welche anknüpfend an die Klosterkunst auch in
Schwaben die Entwicklung der Malerei weiter-
führen.
Jm äußersten Westen unseres Gebietes, *) in
W eild ersta d t, entsteht das Werk, welches den
Frühling der schwäbischen Malerei einleitet und
von dem auch die ganze Liebenswürdigkeit und
der zarte Duft der Frühlingsblumen ausströmt.
Ein Flügelaltar, den im Jahre 1431 ein Meister
Lukas Moser für die Dorfkirche in Tiesenbronn
bei Pforzheim herftellt, und der fich heute noch an
Ort und Stelle befindet. Ein Zusammenhang mit
der älteren schwäbischen Buchmalerei, vielleicht auch
mit der Kunst des Öberrheins ist nicht von der
Hand zu weisen; trotzdem muß die Vollendungsstufe
dieses Erftlingswerkes aufs höchste überraschen.
Das Zwickelbild erzählt uns vom Gastmahl
des Simon (Abb. 4). Der reiche Pharisäer hat
den Herrn zum Mahle geladen, während desselben
erscheint die öffentliche Sünderin Ncagdalena „und
fing an mit ihren Tränen die Füße Jesu zu be-
netzen und trocknete sie mit den Haaren ihres
Hauptes". Meister Lukas hat es offenbar besonders
auf Naturwahrheit abgesehen. Stuhl und Tisch,
Kühleimer und Gedeck sind liebevoll-ausführlich
geschildert, wie in einem Sittenbild, die Figuren
in Haltung und Bewegung — man sehe nur die
auswartende Magd — trefflich beobachtet. Und
mit welcher Anschaulichkeit das Jnnere des Vor-
ganges gekennzeichnet ist! Kann man nicht jeder
Person ihre Gedanken ablesen! Der hl. Petrus
frägt seinen Tischnachbarn, was es denn mit der
Frau da für eine Bewandtnis habe, und dieser
kann ihm offenbar nichts Gutes von ihr berichten,
so daß das Gesicht des würdigen alten Herrn
den Ausdruck von Kummer und Mißbilligung
annimmt. Sinion deutet in unwillkürlicher Geste
auf Jesus: „Wenn dieser ein Prophet wäre,
wüßte er, wer die ist." Der Herr aber neigt sich
*) Der Begriff „Schwaben" wird hier nicht rein ethno-
graphisch, sondern im engeren und landläufigen Sinnc
genommen und umfaßt das heutige Württemberg und
das bayerische Schwaben.
mildiglich gegen Magdalena: „Siehst du dieses
Weib? . . Jhr wird viel vergeben, weil ste viel
geliebt hat." Ein Späterer hätte vielleicht die
Hauptsache kräftiger herausgehoben, die Zartheit
der Empfindung aber kaum überbieten können.
Von diesem kindlich sanften Heiland kann un-
möglich ein hartes Wort kommen, der Pharisäer
ist nicht der häßliche Charakter, wie ihn der
Evangelist schildert, sondern höchstens ein bißchen
vorwitzig im Urteil, und dieser „Sünderin" mag
man schwere Verfehlungen kaum zutrauen. Kein
harter, kein leidenschaftlicher Ton stört die an-
dächtige Stimmung, selbst bei Magdalena ist es
nur ein lindes, stilles, schmerzlösendes Weinen.
Dieser schwäbisch zurückhaltenden Art des Em-
pfindens entspricht auch die Formengebung in ihrer
Abb. S Pbot. Hösle
Borlbol. Zcilblom. St. Georg (Text S. 1ÜI
vom Üilchbcrgcr Altar. Sluttgart. Galcric
Bebenhausen, ein Tafelgemälde, worauf er Maria
als „Sitz der Weisheit" mit allem Reiz der früh-
gotischen Linienrhythmik schildert. Jn dieserfrühen,
rein klösterlichen Kunst kommt begreiflicherweise
persönliche und lokale Eigenart noch wenig zur
Geltung. Allein die Entwicklung schreitet iveiter.
Auf die Zeit der Klöster, auf die ritterliche Zeit
der Hohenstaufen, Schwabens politische Glanz-
epoche, folgt eine bürgerliche Kultur. Sie ent-
faltet sich in all den Städten und Städtchen, die
in der Frühzeit des Mittelalters — nirgends so
zahlreich wie grad im Schwabenlande — empor-
kommen. Hinter den schützenden Stadtmauern regt
sichs von aufstrebendem Gewerbe, es organisieren
sich die Zünfte, darin sich auch die Maler ein-
gliedern. Biedere Männer des Handwerks liefern
ihre solide Anstreicherarbeit, aber in manch einem
glüht dabei auch der Funke höheren künstlerischen
Strebens, nnd diese bürgerlichen Aleister sind es,
welche anknüpfend an die Klosterkunst auch in
Schwaben die Entwicklung der Malerei weiter-
führen.
Jm äußersten Westen unseres Gebietes, *) in
W eild ersta d t, entsteht das Werk, welches den
Frühling der schwäbischen Malerei einleitet und
von dem auch die ganze Liebenswürdigkeit und
der zarte Duft der Frühlingsblumen ausströmt.
Ein Flügelaltar, den im Jahre 1431 ein Meister
Lukas Moser für die Dorfkirche in Tiesenbronn
bei Pforzheim herftellt, und der fich heute noch an
Ort und Stelle befindet. Ein Zusammenhang mit
der älteren schwäbischen Buchmalerei, vielleicht auch
mit der Kunst des Öberrheins ist nicht von der
Hand zu weisen; trotzdem muß die Vollendungsstufe
dieses Erftlingswerkes aufs höchste überraschen.
Das Zwickelbild erzählt uns vom Gastmahl
des Simon (Abb. 4). Der reiche Pharisäer hat
den Herrn zum Mahle geladen, während desselben
erscheint die öffentliche Sünderin Ncagdalena „und
fing an mit ihren Tränen die Füße Jesu zu be-
netzen und trocknete sie mit den Haaren ihres
Hauptes". Meister Lukas hat es offenbar besonders
auf Naturwahrheit abgesehen. Stuhl und Tisch,
Kühleimer und Gedeck sind liebevoll-ausführlich
geschildert, wie in einem Sittenbild, die Figuren
in Haltung und Bewegung — man sehe nur die
auswartende Magd — trefflich beobachtet. Und
mit welcher Anschaulichkeit das Jnnere des Vor-
ganges gekennzeichnet ist! Kann man nicht jeder
Person ihre Gedanken ablesen! Der hl. Petrus
frägt seinen Tischnachbarn, was es denn mit der
Frau da für eine Bewandtnis habe, und dieser
kann ihm offenbar nichts Gutes von ihr berichten,
so daß das Gesicht des würdigen alten Herrn
den Ausdruck von Kummer und Mißbilligung
annimmt. Sinion deutet in unwillkürlicher Geste
auf Jesus: „Wenn dieser ein Prophet wäre,
wüßte er, wer die ist." Der Herr aber neigt sich
*) Der Begriff „Schwaben" wird hier nicht rein ethno-
graphisch, sondern im engeren und landläufigen Sinnc
genommen und umfaßt das heutige Württemberg und
das bayerische Schwaben.
mildiglich gegen Magdalena: „Siehst du dieses
Weib? . . Jhr wird viel vergeben, weil ste viel
geliebt hat." Ein Späterer hätte vielleicht die
Hauptsache kräftiger herausgehoben, die Zartheit
der Empfindung aber kaum überbieten können.
Von diesem kindlich sanften Heiland kann un-
möglich ein hartes Wort kommen, der Pharisäer
ist nicht der häßliche Charakter, wie ihn der
Evangelist schildert, sondern höchstens ein bißchen
vorwitzig im Urteil, und dieser „Sünderin" mag
man schwere Verfehlungen kaum zutrauen. Kein
harter, kein leidenschaftlicher Ton stört die an-
dächtige Stimmung, selbst bei Magdalena ist es
nur ein lindes, stilles, schmerzlösendes Weinen.
Dieser schwäbisch zurückhaltenden Art des Em-
pfindens entspricht auch die Formengebung in ihrer
Abb. S Pbot. Hösle
Borlbol. Zcilblom. St. Georg (Text S. 1ÜI
vom Üilchbcrgcr Altar. Sluttgart. Galcric