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Etwas Nhnliches muß Schaffner selbst gefühlt
haben; in seinem H u tz a ltar vom Jahre 1521
bleibt er ganz in der Sphäre des Reinmensch-
lichein Das Bildwerk dieses (nach seinem Stifter
benannten) Altars behandelt das gerade damals
besonders beliebte Thema der „hl. Sippe" oder der
„Freundschaft (d. H.Verwandtschaft) Christi",
wie es sich die mittelalterliche Legende nach den
Apokryphen zurechtgelegt hatte. Nach dieser Aus-
fassung hätte die hl. Jungfrau zwei Schwestern
gehabt, und während die geschnitzte Gruppe des
Mittelschreines die Stamnmtter Anna mit Maria
und Joseph und dem göttlichen Kinde als Mittel-
punkt zeigt, erscheinen auf den beiden von Schaff-
ner gemalten Flügeln diese beiden Schwestern
mit ihren Familien (Abb. 20). Links Maria
Kleophä, eine echt schwäbische, behäbige Haus-
mutter, ihren Jüngsten, den Apostel Jakobus
minor, an der Brust, ein anderes zu ihren
Abb. 23 Phot. Bruckmann
Martin Schaffner. St. Paulus (Text S. 15)
Karlsruhe, Galerie
Füßen spielt mit einem Vogel, während der kleine
JudasThaddäus auf seinem Steckenpferd rei-
tend daherkommt und Simon, ebenfalls ein künf-
tiger Apostel, dem Vater freudig das Abc hinzeigt,
das er, wohl zum erstenmal, geschrieben hat. Der
Vater aber, „Alphäus", als vornehmer Ulmer
Kaufherr dargestellt, steht in seiner feinen, pelzver-
brämten Schaube recht würdevoll und selbstbewußt
da. Gegenüber blickt Maria Salome, eleganter
gekleidet, edler und feiner im Typus als ihre
Schwester, sinnend in die Zukunft. Zebedäus,
der Vater, ein älterer, in kostbares Pelzwerk ge-
hüllter Herr, offenbar ein Edelmann, bietet seinem
Jüngsten eine Frucht, doch diesem ist ein mütter-
licher Kuß lieber, es ist der kindliche Johannes,
der spätere Evangelist und Liebesjünger, und der
andere kleine Bube, der mit seinem Schreibtäfelchen
wie eifersüchtig herbeiläuft, ist Jakobus der
Ältere. Eine ganze Fülle der reizendsten Einzel-
und Charakterzüge bereichert die beiden köstlichen
Szenen. Wie fein stnd Ruhe und Bewegung, dunkle
und lichte Partien abgewogen und verteilt! Die
Architektur zeigt bereits Renaissanceformen, aber
viel entschiedener kennzeichnet der Geist, der hier
herrscht, die neue Epoche. Zeitblom hätte nicht soviel
bewegtes, intimes Leben geben können, aber dafür
ist bei Schaffner die heilige Darstellung zu einem
gemütlichen schwäbischen Familienidyll geworden.
Doch Schaffner versucht immer wieder, sich der
Abb. 22 Phot. Hansstacngl
M. Schaffner. St. Anna Selbdritt (Tcxt S. 18)
Ulmer Münster
Etwas Nhnliches muß Schaffner selbst gefühlt
haben; in seinem H u tz a ltar vom Jahre 1521
bleibt er ganz in der Sphäre des Reinmensch-
lichein Das Bildwerk dieses (nach seinem Stifter
benannten) Altars behandelt das gerade damals
besonders beliebte Thema der „hl. Sippe" oder der
„Freundschaft (d. H.Verwandtschaft) Christi",
wie es sich die mittelalterliche Legende nach den
Apokryphen zurechtgelegt hatte. Nach dieser Aus-
fassung hätte die hl. Jungfrau zwei Schwestern
gehabt, und während die geschnitzte Gruppe des
Mittelschreines die Stamnmtter Anna mit Maria
und Joseph und dem göttlichen Kinde als Mittel-
punkt zeigt, erscheinen auf den beiden von Schaff-
ner gemalten Flügeln diese beiden Schwestern
mit ihren Familien (Abb. 20). Links Maria
Kleophä, eine echt schwäbische, behäbige Haus-
mutter, ihren Jüngsten, den Apostel Jakobus
minor, an der Brust, ein anderes zu ihren
Abb. 23 Phot. Bruckmann
Martin Schaffner. St. Paulus (Text S. 15)
Karlsruhe, Galerie
Füßen spielt mit einem Vogel, während der kleine
JudasThaddäus auf seinem Steckenpferd rei-
tend daherkommt und Simon, ebenfalls ein künf-
tiger Apostel, dem Vater freudig das Abc hinzeigt,
das er, wohl zum erstenmal, geschrieben hat. Der
Vater aber, „Alphäus", als vornehmer Ulmer
Kaufherr dargestellt, steht in seiner feinen, pelzver-
brämten Schaube recht würdevoll und selbstbewußt
da. Gegenüber blickt Maria Salome, eleganter
gekleidet, edler und feiner im Typus als ihre
Schwester, sinnend in die Zukunft. Zebedäus,
der Vater, ein älterer, in kostbares Pelzwerk ge-
hüllter Herr, offenbar ein Edelmann, bietet seinem
Jüngsten eine Frucht, doch diesem ist ein mütter-
licher Kuß lieber, es ist der kindliche Johannes,
der spätere Evangelist und Liebesjünger, und der
andere kleine Bube, der mit seinem Schreibtäfelchen
wie eifersüchtig herbeiläuft, ist Jakobus der
Ältere. Eine ganze Fülle der reizendsten Einzel-
und Charakterzüge bereichert die beiden köstlichen
Szenen. Wie fein stnd Ruhe und Bewegung, dunkle
und lichte Partien abgewogen und verteilt! Die
Architektur zeigt bereits Renaissanceformen, aber
viel entschiedener kennzeichnet der Geist, der hier
herrscht, die neue Epoche. Zeitblom hätte nicht soviel
bewegtes, intimes Leben geben können, aber dafür
ist bei Schaffner die heilige Darstellung zu einem
gemütlichen schwäbischen Familienidyll geworden.
Doch Schaffner versucht immer wieder, sich der
Abb. 22 Phot. Hansstacngl
M. Schaffner. St. Anna Selbdritt (Tcxt S. 18)
Ulmer Münster