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Die Kunst dem Volke <München> — 1913 (Nr. 13-16)

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Die Altschwäbische Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.21070#0106
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18

Abb. 2S Phot. Hansstacngl

Bcrnh. Strigel, St. JohanneZ Bapt. als Knabe vor scinen Eltcrn predigcnd (Tcxt S. 19>
Miinchcn, A. Pinakothek

niederziehenden Macht dieses Rea-
lismus zu entwinden. Jn den
großen Tafeln des Wettenhauser
Altars wendet er sich ganz zum
altschwäbischen Jdealismus zurück
und versucht z. B. bei der Schil-
derung des Todes Mariä
(Abb. 21) in den Apostelköpfen
große bedeutende Typen zu geben.

Das Schönste freilich ist die wirklich
edel empfundene Gestalt Mariens
voll keuscher Holdseligkeit, demü-
tiger Ergebung, Erwartung und
Himmelssehnsucht: „Jch wünsche
aufgelöst zu werden, und bei Chri-
stus zu sein", eine Figur, in wel-
cher Zeitbloms zartes Fühlen noch
einmal auflebt. Die gut gemalte
Renaissance-Architekturzeigt— was
den Ulmern bisher gemangelt hat —
wirkliche räumliche Vertiefung.

Jn dem echt schwäbischen Bild
der hl. Anna selbdritt (Abb.22)
halten sich Jdealismus und Rea-
lismus die Wage. Reizend ist die
mädchenhafte Befangenheit Ma-
riens, die als zweite Eva dem gött-
lichen Kinde eine Frucht darbietet,
die Jnnigkeit, womit St. Anna
das Kind an sich hält und ihr be-
wunderndes, mütterliches Nieder-
blicken aus Maria. Auch hier ein
liebenswürdiger, genrehafter Zug,
der überhaupt in den besseren Wer-
ken Schaffners hervortritt und wo-
rin des Meisters Eigenart und, ab-
gesehen vom Bildnis, auch seine
Hauptstärke liegt.

Mit ihm sindet die Entwicklung
der Ulmer Malerei ihren Abschluß.

Jn dem Meister von Sterzing hatte
sie den Höhenslug zum Jdealen ge-
nommen, war dieser Richtung un-
entwegt treugeblieben, hatte in Zeitblom ihren
höchsten Punkt erreicht, um dann in Schaffner
zum Genremäßigen und zum Bildnis herabzu-
steigen. Die Keime des Neuen, die in Schaff-
ners Art liegen, zu entfalten, ist der Ulmer
Malerei nicht mehr beschieden. Es mangelt
an Talenten, zumal fortan die neue Kunst-
zentrale Augsburg alle künstlerischen Kräfte an
sich zieht, und die große Zeit der Ulmer Kunst
ist schon vorüber, als sie durch die religiösen
Wirren und — ein richtiger Schwabenstreich —
den Bildersturm ihren Todesstoß empfängt.

Vielleicht ist überhaupt das Beste, was Ulmer
Künstler geschaffen haben, damals zugrunde ge-
gangen. Mit lakonischer Kürze erzählt der
Chronist von Ulm, Sebastian Fischer, seines
Zeichens ein ehrsamer Schuhmacher: „Den 19ten
tag des brachmonats da schlug man darnvder
alle getzen und altar. Jn der pfarrkirchen . . .
wo haylgen oder altar waren, des sich niemand
annam, des zerscheytet man und gab mans
armen leyten zu ainem brennholz. Das tat man
hernach auch in allen kirchen. Das geschah im
1531ten jar."
 
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