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Die Kunst dem Volke <München> — 1914 (Nr. 17-20)

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Theodor Horschelt
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19

Abb. 3V (Tcrt S. 27) Lcsghischcr Baucr Phoi. Hansstacngl

knäuel drängte zwischen den Häusern her-
vor: Es war Schamyl, umgeben von sei-
nen Söhnen Chasi Mohammed und dem
jüngeren Mohammed Scheriff, und etwa
vierzig Müriden, wilde Gestalten, bis an
die Zähne bewaffnet, von entschlossenem
Aussehen. Unweit des Auls stand Ge-
neral Wrangl bereit zu Schamyls Emp-
fang. Nachdem dieser vom Pferd gestie-
gen, ließ ihm der General bedeuten, daß
er fich nun von seiner Begleitung zu
trennen und allein vor dem Fürsten zu
erscheinen habe. Darob hitzige Debatte:
weder seine Söhne noch die Müriden
wollten ihn verlassen, da er ganz gewiß
augenblicklich getötet würde. Schamyl
war unschlüssig, wich aber endlich den
Versicherungen des Generals. Den Weg
zum Fürsten legte er zu Pferd zurück,
umgeben von unseren Offizieren, die letzten
vierzig Schritte aber zu Fuß. Seinen
(falschen) Freund Janus hatte man ihm
gelassen (er schaut, eine Wunde am
rechten Arm fich mit Heu trocknend, aus
dem Bilde heraus). Fürst Bariatinsky
saß etwas erhöht, auf einem Steine, ein
dünnes Birkenwäldchen hinter sich, in-
mitten seines zahlreichen Gefolges (wor-
unter auch, sehr bescheiden hervorlu-
gend, der Maler des Bildes fast unbe-
merkbar angedeutet); als sich der ihn
umgebende Kreis ösfnete, um Schamyl
eintreten zu lassen, zeigte dieser mit dem
Finger auf ihn,fragend, ob dies der Statt-
halter sei. Bevor der Maler die fragliche,
durch sein berühmt gewordenes Bild (Abb.43) be-
kannte Szene weiter schildert, faßt er die absonder-
liche Persönlichkeit noch weiter ins Auge: Scha-
myl (Abb. 44) ist über mittlerer Größe, schlanken
Wuchses uud geht trotz seiner 63 Jahre und
eines Lebens voll Mühsal und Entbehrungen
noch vollkommen aufrecht; sein Gesicht ist nicht
besonders edel geformt, doch der große, tiefrot
gefärbte Bart, seine buschigen Brauen und der
breite, schneeweiße Turban, kunstvoll um die Pelz-
mütze gewickelt — all dieses macht ihn zu einer
stattlichen Erscheinung. Er trug eine schwarze
Tscherkesska und ein grünes Unterkleid. Dolch
und Pistole hatte man ihm abnehmen wollen,
Fürst Bariatinsky aber ihm die Auszeichnung
gestattet, bewaffnet vor ihm zu erscheiuen. Doch
Schamyl, welcher so viele Beweise außerordent-
lichen Mutes gegeben, warf unstet die Augen um
sich, fest überzeugt, jetzt augenblicklich niederge-
macht zu werden. Trotzdem konnte er sich nicht
darein finden, auf Gnade und Ungnade zu sein,
sprach von Bedingungen, wie seinerzeit Hanni-
bal vor Scipio bei Zama oder gleich dem letzten
Vandalenkönig Gelomir vor Belisar — worauf
ihm der Fürst in sehr ruhigem Tone ungefähr
antworteu ließ: „Vor drei Tagen habe ich dich
zu mir entboten unter den vorteilhaftesten Aus-

fichten: ich habe dir gestattet, dein Leben ferner
so zu verbringen, wo du nur wünschest, mit
Ausnahme des Kaukasus und du wolltest von
nichts wissen; jetzt ist von deiner Seite kein
Wort mehr möglich. Hier steht mein Freund,
Oberst Trombowski, er ist gut und menschen-
freundlich und wird dich nach St. Petersburg
zum Kaiser geleiten." Schamyl machte in seinen
bilderreichen Reden manche Einwendungen, fügte
sich aber in die unabweichbare Notwendigkeit.

Jn Tiflis vielfach photographiert, zeichnete
ihn und seiue Söhne unser Maler und gestaltete
später in München alle diese Vorgänge zu höchst
hedeutsamen, seinen Namen weithin tragenden
Bildern. Ebenso den Abzug des vom Berge
reitenden, auf seiner „viu ti'1riinpliuli8" stürmisch
begrüßten fiegreichen Fürsten (Abb. 45). Auch
dieses Mal erntete Horsck)elt Ruhm und Ehre: die
für die Eroberung der Tschetschina und des Da-
ghestan gestiftete Medaille, den „St. Annenorden
mit den Schwertern" und die Aufnahme in die
Petersburger Kuustakademie.

Bald nach Beginn seiner Weltfahrt kamen
kurze Berichte an die Eltern, an einige bevor-
zugte Freunde und Kunstgenossen, wie Arthur
von Ramberg und Fr. Pecht, mit köstlichen, humor-
voll guellendeu Randzeichnungen, meist aber mit

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