Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1916 (Nr. 25-28)

DOI Heft:
Doering, Oscar: Der Bamberger Dom
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.21067#0027
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
20

Abb. 30 (Tert S. 17, Phot. K. Meßbildanstalt, Berlin

Durchblick an der Südseitc dcs Peterschores

ermöglichen uns die für die Westpartie bereits
ausgeführten Reliefs und Bildsäulen. Jhrer ist
eine stattliche Anzahl. Als den Erbauern des
Domes klar wurde, daß die großartigen Pläne
bescheideneren weichen mußten, nahmen fie den
Vorrat der nunmehr unbenutzten Bildhauerwerke
und verteilten diese nach Gutdünken überall hin.

Zu einer Gruppe vereinigt sieht man sechs jener
Werke an der Adamspsorte (Abb. 9). Dem Stile
nach sind die Figuren etwa ein halbes Jahrhun-
dert jünger als die Pforte. Welcher Standort
ursprünglich für sie gedacht war, läßt sich nicht
sagen. Die große Verschiedenheit der Untersätze,
auf denen sie stehen, scheint daraus zu deuten,
daß sie in weiteren Abständen voneinander
bleiben sollten. Daß der hl. Stephanus dabei
ist, mag sich daraus erklären, daß die Schwester
Heinrichs II., Gisela, Königin von Ungarn war,
Stephanus aber der Schutzheilige dieses Landes
ist. Die sechs Figuren der Adamspforte ge-
hören zum Bedeutendsten, was das 13. Jahr-
hundert geschaffen hat. Die Körper des Ureltern-
paares sind mit tüchtigem Wollen gearbeitet, dem
freilich infolge unzulänglicher Naturbeobachtung
das Gelingen noch nicht ganz entspricht. Das
charaktervolle Antlitz des Stephanus zeigt das
stilisierte Lächeln der Seligen. Größte Erhaben-
heit besitzt die Gestalt des Heiligen, den man

als Petrus bezeichnet.
SichtbarerGrundliegt
für diese Benennung
nicht vor, weil der
Schlüssel fehlt; auch
das Kreuz in der Hand
diesesMannes istnicht
das Petruskreuz, wel-
ches seinen Querbal-
ken am unteren Ende
hat. Die richtige Deu-
tung ist nicht klar. Die
Krone des Ganzensind
die Gestalten der hl.
Kunigunde und ganz
besondersdeshl.Hein-
rich (Abb. 10). Jn
wahrhaft majestäti-
scher Haltung stehen
sie da, Jdeale von ir-
discher und überirdi-
scher Größe zugleich,
in ihren Formen von
höchster Ruhe, Schön-
heit und Wahrheit.
Geistig sind sie so tief
erfaßt und verstanden,
daß diese Figuren ge-
radezu eine zwingende
Gewalt ausüben, und
daß wir gar nichtmehr
imstande sind, uns vor
allem Heinrich wesent-
lich anders vorzustel-
leu als in diesem, von einem genialen Künstler-
geiste für ihn geschaffenen Aussehen. Güte, Fröm-
migkeit,Klugheit,Überlegenheit, Königsgefühlund
Demut vereinigensich in demherrlichen Kops, in der
Haltung dieser Gestalt. Unter dem einen Fuße des
Kaisers sieht man eine niedere Stütze; sie wird als
ein Hinweis darauf gedeutet, daß, wie geschichtlich
überliefert, Heinrich hinkend gewesen ist.

Porträtähnlichkeit hat weder die Figur Hein-
richs, noch die Kunigundes besessen. Beim er-
steren ist sie schon infolge der Abhängigkeit von
dem Vorbilde der Königsfigur am Dome zu Reims
ausgeschlossen. Der Kopf Heinrichs ist vielmehr
ein Typus, deu derselbe Künstler am und im
Bamberger Dome noch mehrmals wiederholt hat,
nämlich bei dem Kopfe des noch zu betrachtenden
Königs Stephan und bei den Skulpturen des
Fürstenportals. Diese letzteren beweisen insbe-
sondere auch für Stephan, daß bei ihm von Bild-
nisähnlichkeit nicht die Rede sein kann. Denn
ein König von ganz entsprechendem Aussehen
findet sich bei dem Weltgerichte unter den Seli-
gen, aber leider kehrt genau derselbe auch auf
der linken Seite, bei den Verdammten, wieder.
Das beweist deutlich, daß der Künstler seine
Nachbilder historischer Persönlichkeiten nur typisch,
nicht aber individuell behandelt hat. Hierauf
ging das frühere Mittelalter überhaupt nicht aus.
 
Annotationen