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Abb. 27 (Tcrt S. 20> Phot. F. Bruckmami A.-G.
Hcil dcm Tage
überraschte, nannte Spitzweg diese
Zeit „die traurigste seines Lebens",
er bat sogar einen zuverlässigen Freund,
ihn nimmermehr daran zu erinnern.
Erhebt ja schon einer der frühesten
deutschen Dichter helle Klage um un-
erreichbare Minne. Als alle Wege
endlich geebnet schienen, um den ge-
hofften Lebensbund zu schließen, knickte
der Tod alle Wünsche und der Maler
trug gleich jenem Poeten sein Herz
gebrochen, wie einen wunden Arm, „in
einer Schlingenbinde". Erst langsam
und auf weiten Rasten reichbe ihm die
Kunst nicht den Labetrunk des Ver-
gessens, sondern heilender Milde. Spitz-
weg schwieg sich aus in seiner Kunst.
Viele in allen Schattierungen spielende
Hagestolze könnten von ungefchriebenen
Romanen oder autobiographischen No-
vellen erzählen: lauter in selbstironi-
sierender Form abgeklärte, verpuppte,
tieftraurige Erlebnisse, Erfahrungen
und Geschichten voll rührender „Dich-
tung und Wahvheit". Jeder Dichter
und Künstler schildert sein innerstes
Selbst. Vielleicht hemmte ihn auch
Bewußtsein und Gefühl,nie an Erwerb
bei seinen bescheidenen Lebensverhält-
nissen denken zu müfsen, sondern stun-
den- und tagefrei seine Pfade gehen
zu können.
Der Genuß der Wanderung und das
volle Erfassen der Landschaft, der rege Verkehr mit
treuen Pslegern dieser seiner Kunstrichtung, mit
unverbrüchlich freundlichen Genossen, wies ihm
eigene Gangsteige, sowohl im schauenden Erfassen
wie im Finden der gehörigen Ausdrucksmittel.
Darunter in erster Reihe der aus anderen Studien
zur Kunst findende B e r n h a rd S t a n g e (1807
bis 1880), der bahnbrechende C h r i st i a n M o r-
genstern (1805—67) und allen voran Edu-
ard Schleich (1812—74). Sie kitteten sich ge-
meinsam förderlichst aneinander, jeder sprühwitzig
auf selbstgeschaffenem Bodenwuchs, mit gleichem
Erfolg tastend und neue Ziele findend. Eduard
S ch l e i ch mit seinem durch große runde Brillen-
gläser leuchtenden Blick, dem kaustischen Witz nnd
der überschäumendenLebenskraft übernahm eigent-
lich die führende Rolle in diesem kleinen Kreise,
in welchen 1849 plötzlich der kometenhaft oder irr-
lichtmäßig phosphoreszierende, in Speise, Trank
und Wort gleich kinnbackenmächtig, stets über-
siedend heißköpfige Carl Rahl aus Wien hin-
einplatzte. Spitzweg bewahrte seine bekannte stille
Selbstironie und Schalkhaftigkeit, die auch bei sei-
nen, oftsehrweltlichesZeugtreibendenEinsiedlern,
Anachoreten oder gar um exegetische Fragen dispu-
tierenden Höhlenbewohnern sich kundtat, während
die beiden ergänzenden Freunde, wozu sich auch
der stets vorwiegend ästhetisierende stille I. B.
Berdells gesellte, lieber in poetisch-romanti-
schen Stimmungen und schwebenden Wolkenzügen
ihr stilles Heil suchten, treu dem schönen Dichter-
worte Platens: „Um den Geist emporzulenken von
der Sinne rohem Schmaus, um der Dinge Maß
zu lehren, sandte Gott die Künstler aus." Unter
dieser Konstellation erblühten täglich neu nach-
wachsende, immer frischansetzende Pflanzen und
Bildchen verschiedenen Kalibers. Ftir einige
seiner, etwa für Graf Schack bestimmten Schöp-
fungen wählte Spitzweg wohl ein größeres Lein-
wand-Format; doch vorwiegend beliebt bliebcn
die gnt ausgetrockneten Brettchen der Zigarren-
kisten, die er selbst grundierte und mit eigenhändig
bereiteten Farben bemalte. So gab cs nie Nach-
dunklung oder Sprünge. Er nahm die Täfel-
chen im breiten oder überhöhten stets wechseln-
den Format. Die Jdeen drängten sich, wurden
meist zu weiterer Vollendung plötzlich zurückge-
stellt und gelegentlich nach richtiger Stimmung
wieder ausgewählt und hervorgenommen. Uner-
schöpflichen Trost bot seine Fantasie, seltener die
massenhast aufgespeicherten Skizzenbücher, in denen
die Projekte, wie „Seelen zu künftigen Gedichten",
in aphoristischer Kürze auf Bearbeitung warteten.
Jhre Zahl ist unbestimmbar. Manche Tagesarbeit
fiel wieder unter dem bessernden Messer vernichtet
oder keimte nach weiterer Frist zu gedeihlicher
Vollendung. Das meiste wurde vorzeitig und frei-
gebig verschenkt oder nach schwerer Entschließung,
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Abb. 27 (Tcrt S. 20> Phot. F. Bruckmami A.-G.
Hcil dcm Tage
überraschte, nannte Spitzweg diese
Zeit „die traurigste seines Lebens",
er bat sogar einen zuverlässigen Freund,
ihn nimmermehr daran zu erinnern.
Erhebt ja schon einer der frühesten
deutschen Dichter helle Klage um un-
erreichbare Minne. Als alle Wege
endlich geebnet schienen, um den ge-
hofften Lebensbund zu schließen, knickte
der Tod alle Wünsche und der Maler
trug gleich jenem Poeten sein Herz
gebrochen, wie einen wunden Arm, „in
einer Schlingenbinde". Erst langsam
und auf weiten Rasten reichbe ihm die
Kunst nicht den Labetrunk des Ver-
gessens, sondern heilender Milde. Spitz-
weg schwieg sich aus in seiner Kunst.
Viele in allen Schattierungen spielende
Hagestolze könnten von ungefchriebenen
Romanen oder autobiographischen No-
vellen erzählen: lauter in selbstironi-
sierender Form abgeklärte, verpuppte,
tieftraurige Erlebnisse, Erfahrungen
und Geschichten voll rührender „Dich-
tung und Wahvheit". Jeder Dichter
und Künstler schildert sein innerstes
Selbst. Vielleicht hemmte ihn auch
Bewußtsein und Gefühl,nie an Erwerb
bei seinen bescheidenen Lebensverhält-
nissen denken zu müfsen, sondern stun-
den- und tagefrei seine Pfade gehen
zu können.
Der Genuß der Wanderung und das
volle Erfassen der Landschaft, der rege Verkehr mit
treuen Pslegern dieser seiner Kunstrichtung, mit
unverbrüchlich freundlichen Genossen, wies ihm
eigene Gangsteige, sowohl im schauenden Erfassen
wie im Finden der gehörigen Ausdrucksmittel.
Darunter in erster Reihe der aus anderen Studien
zur Kunst findende B e r n h a rd S t a n g e (1807
bis 1880), der bahnbrechende C h r i st i a n M o r-
genstern (1805—67) und allen voran Edu-
ard Schleich (1812—74). Sie kitteten sich ge-
meinsam förderlichst aneinander, jeder sprühwitzig
auf selbstgeschaffenem Bodenwuchs, mit gleichem
Erfolg tastend und neue Ziele findend. Eduard
S ch l e i ch mit seinem durch große runde Brillen-
gläser leuchtenden Blick, dem kaustischen Witz nnd
der überschäumendenLebenskraft übernahm eigent-
lich die führende Rolle in diesem kleinen Kreise,
in welchen 1849 plötzlich der kometenhaft oder irr-
lichtmäßig phosphoreszierende, in Speise, Trank
und Wort gleich kinnbackenmächtig, stets über-
siedend heißköpfige Carl Rahl aus Wien hin-
einplatzte. Spitzweg bewahrte seine bekannte stille
Selbstironie und Schalkhaftigkeit, die auch bei sei-
nen, oftsehrweltlichesZeugtreibendenEinsiedlern,
Anachoreten oder gar um exegetische Fragen dispu-
tierenden Höhlenbewohnern sich kundtat, während
die beiden ergänzenden Freunde, wozu sich auch
der stets vorwiegend ästhetisierende stille I. B.
Berdells gesellte, lieber in poetisch-romanti-
schen Stimmungen und schwebenden Wolkenzügen
ihr stilles Heil suchten, treu dem schönen Dichter-
worte Platens: „Um den Geist emporzulenken von
der Sinne rohem Schmaus, um der Dinge Maß
zu lehren, sandte Gott die Künstler aus." Unter
dieser Konstellation erblühten täglich neu nach-
wachsende, immer frischansetzende Pflanzen und
Bildchen verschiedenen Kalibers. Ftir einige
seiner, etwa für Graf Schack bestimmten Schöp-
fungen wählte Spitzweg wohl ein größeres Lein-
wand-Format; doch vorwiegend beliebt bliebcn
die gnt ausgetrockneten Brettchen der Zigarren-
kisten, die er selbst grundierte und mit eigenhändig
bereiteten Farben bemalte. So gab cs nie Nach-
dunklung oder Sprünge. Er nahm die Täfel-
chen im breiten oder überhöhten stets wechseln-
den Format. Die Jdeen drängten sich, wurden
meist zu weiterer Vollendung plötzlich zurückge-
stellt und gelegentlich nach richtiger Stimmung
wieder ausgewählt und hervorgenommen. Uner-
schöpflichen Trost bot seine Fantasie, seltener die
massenhast aufgespeicherten Skizzenbücher, in denen
die Projekte, wie „Seelen zu künftigen Gedichten",
in aphoristischer Kürze auf Bearbeitung warteten.
Jhre Zahl ist unbestimmbar. Manche Tagesarbeit
fiel wieder unter dem bessernden Messer vernichtet
oder keimte nach weiterer Frist zu gedeihlicher
Vollendung. Das meiste wurde vorzeitig und frei-
gebig verschenkt oder nach schwerer Entschließung,
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