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Abb. 30 (Text S. 21) Phot. F. Bruckmann A.-G.
Sercnissimus' Auffahrt
Paris" wurde ein friedlicher Zug nach der ersten,
unter Napoleons Präsidentschaft eröffneten Expo-
sition von Spitzweg, dessen Bruder und dem treuen
Eduard^Schleich beschlossen. Während sich die
ganze Seele in die Augen drängte, gelang die
höchste Ausnützung der Zeit. Die Fahrt der neuen
Argonauten wurde über Havre honigbeschwert
fortgesetzt nach London, wo die beiden Maler, un-
beirrt vou dem leise anhebenden Nachtigallenflö-
ten der Präraffaeliten, weitereilten auf dem Rück-
weg über Gent, Mecheln und Antwerpen, nicht ge-
fesselt vom Sirenensange zu Brüssel, erfrischt durch
die alten Meister zu Lüttich, Löwen u. s. w.
Dann eilten sie, nach kurzer Nachkur, über Düssel-
dorf, Köln und Frankfurt nach der frisch rauschen-
den Jsar, um hier „enin N'nno kulis" ihre Aus-
beute zu sichten und fast gleichzeitig mit dem jun-
gen, ähnliche Wege fahrenden Karl Piloty eine
„vltn nnovu" zu beginnen. Und das glückte jedem
dieser „Jncamnrinaten". Sie hatten das goldene
Vlies im koloristischen Wohlklang einer neuen Pa-
lette gefunden! Mit gkeichen Hochgefühlen mochte
ehedem Albrecht Dürer von seiner Ausfahrt den
stillen Einzug in seine geliebte alte Noris halten.
So hat auch Spitzweg Neuland ent-
deckt, unermeßliches, freudig einge-
heimstes und seine Meisterjahre
begonnen. Er steht aus der obersten
Scheibe seines Glücksrades. Möge
es im Sinne der mittelhochdeutschen
Dichter „lange stille bleiben und
niemals niedergehen!" Correggios
„unotr' io 8ono xlttoro" war an
den beiden treuverbündeten Freunden
Schleich und Spitzweg abermals
wahr geworden. Beide lenkten, wie
ehedem die Bolognesen Carracci als
echte „Jncamminati" in die einzig
ihnen zuständigen Wege. Nun kamen
nicht allein sammelnde Mäzene, auch
der Kunsthandel bemächtigte sich,
obwohl vorerst immer noch in mäßi-
gem Tempo, ihrcs Namens, ohne
die Urheber in Siedhitze zu versetzen,
die nun teilweise ihrem Format
eine Erweiterung gönnten. Während
der eine seinen Tummelplatz erwei-
terte, vertiefte der bedächtige Ein-
siedler sich mit behaglichem Lächeln
in die durchleuchtende Kraft seines
in feinster Harmonie abgetönten
Farbenzaubers, der bis in die klein-
stcn Winkel den schwelgenden Be-
schauer bcglcitet und durch immer
neue Heinilichkeiten überrascht und
gefangen nimmt. Dazu gehören
die im schwellenden unl8ono packen-
den, immer neu wechselnden „Ständ-
chen" (Abb. 24—28), der Anmarsch
dcs mit seinem Gespons inspizieren-
den gestrengen Generals (Abb. 38),
die Kaktusliebhaber (Abb. 12 u. 13),
das ganzc Cortege lustwandclnder Sonntagsaus-
flügler (Abb. 14,16 u. 18) Waldfestpfleger, der süßen
Gewohnheit des Rauchens obliegenden echten und
einheimischen Muselmänner. Mit besonderer Vor-
liebe verfolgt er die keiner kundbaren Fakultät ein-
zuordnenden „Gelehrten". Solch ein auf seiner
Stuhlleiter weltvergessen stehender, alte „Schmö-
ker" nach einem Zitat durchschnuppernder Bücher-
wurm findet sich, nicht einmal im versteinerten
Zustand, in irgend einer Bibliothek (Abb. 11).
Ein anderes, ähnliches Menschenexemplar setzt
drr Maler unter assyrisch-babylonische Ton- und
ägyptische Shkomorensärge, Papyrusrollen, ausge-
bälgte Bestien und das obligate Tellurium, wäh-
rend über verstäubte Folianten herüber ein fossiler
Meerdrachenschädel hohläugig seinen diluvialen
Kollegen anglotzt, der am wackeligen Tischchen bei
qualmendem Lampenlicht noch seinem mitter-
nächtigen Skriptum obliegt, während schon ein
Herrlicher Sommermorgen durch das Glasdach in
den unsäglichen Trödel leuchtet: Das ist Demo-
krit in seiner Bibliothek, wie ihn der sarkastische
selige Christoph Martin Wieland längst in seinen
„Abderiten" schilderte (Abb. 10).
Abb. 30 (Text S. 21) Phot. F. Bruckmann A.-G.
Sercnissimus' Auffahrt
Paris" wurde ein friedlicher Zug nach der ersten,
unter Napoleons Präsidentschaft eröffneten Expo-
sition von Spitzweg, dessen Bruder und dem treuen
Eduard^Schleich beschlossen. Während sich die
ganze Seele in die Augen drängte, gelang die
höchste Ausnützung der Zeit. Die Fahrt der neuen
Argonauten wurde über Havre honigbeschwert
fortgesetzt nach London, wo die beiden Maler, un-
beirrt vou dem leise anhebenden Nachtigallenflö-
ten der Präraffaeliten, weitereilten auf dem Rück-
weg über Gent, Mecheln und Antwerpen, nicht ge-
fesselt vom Sirenensange zu Brüssel, erfrischt durch
die alten Meister zu Lüttich, Löwen u. s. w.
Dann eilten sie, nach kurzer Nachkur, über Düssel-
dorf, Köln und Frankfurt nach der frisch rauschen-
den Jsar, um hier „enin N'nno kulis" ihre Aus-
beute zu sichten und fast gleichzeitig mit dem jun-
gen, ähnliche Wege fahrenden Karl Piloty eine
„vltn nnovu" zu beginnen. Und das glückte jedem
dieser „Jncamnrinaten". Sie hatten das goldene
Vlies im koloristischen Wohlklang einer neuen Pa-
lette gefunden! Mit gkeichen Hochgefühlen mochte
ehedem Albrecht Dürer von seiner Ausfahrt den
stillen Einzug in seine geliebte alte Noris halten.
So hat auch Spitzweg Neuland ent-
deckt, unermeßliches, freudig einge-
heimstes und seine Meisterjahre
begonnen. Er steht aus der obersten
Scheibe seines Glücksrades. Möge
es im Sinne der mittelhochdeutschen
Dichter „lange stille bleiben und
niemals niedergehen!" Correggios
„unotr' io 8ono xlttoro" war an
den beiden treuverbündeten Freunden
Schleich und Spitzweg abermals
wahr geworden. Beide lenkten, wie
ehedem die Bolognesen Carracci als
echte „Jncamminati" in die einzig
ihnen zuständigen Wege. Nun kamen
nicht allein sammelnde Mäzene, auch
der Kunsthandel bemächtigte sich,
obwohl vorerst immer noch in mäßi-
gem Tempo, ihrcs Namens, ohne
die Urheber in Siedhitze zu versetzen,
die nun teilweise ihrem Format
eine Erweiterung gönnten. Während
der eine seinen Tummelplatz erwei-
terte, vertiefte der bedächtige Ein-
siedler sich mit behaglichem Lächeln
in die durchleuchtende Kraft seines
in feinster Harmonie abgetönten
Farbenzaubers, der bis in die klein-
stcn Winkel den schwelgenden Be-
schauer bcglcitet und durch immer
neue Heinilichkeiten überrascht und
gefangen nimmt. Dazu gehören
die im schwellenden unl8ono packen-
den, immer neu wechselnden „Ständ-
chen" (Abb. 24—28), der Anmarsch
dcs mit seinem Gespons inspizieren-
den gestrengen Generals (Abb. 38),
die Kaktusliebhaber (Abb. 12 u. 13),
das ganzc Cortege lustwandclnder Sonntagsaus-
flügler (Abb. 14,16 u. 18) Waldfestpfleger, der süßen
Gewohnheit des Rauchens obliegenden echten und
einheimischen Muselmänner. Mit besonderer Vor-
liebe verfolgt er die keiner kundbaren Fakultät ein-
zuordnenden „Gelehrten". Solch ein auf seiner
Stuhlleiter weltvergessen stehender, alte „Schmö-
ker" nach einem Zitat durchschnuppernder Bücher-
wurm findet sich, nicht einmal im versteinerten
Zustand, in irgend einer Bibliothek (Abb. 11).
Ein anderes, ähnliches Menschenexemplar setzt
drr Maler unter assyrisch-babylonische Ton- und
ägyptische Shkomorensärge, Papyrusrollen, ausge-
bälgte Bestien und das obligate Tellurium, wäh-
rend über verstäubte Folianten herüber ein fossiler
Meerdrachenschädel hohläugig seinen diluvialen
Kollegen anglotzt, der am wackeligen Tischchen bei
qualmendem Lampenlicht noch seinem mitter-
nächtigen Skriptum obliegt, während schon ein
Herrlicher Sommermorgen durch das Glasdach in
den unsäglichen Trödel leuchtet: Das ist Demo-
krit in seiner Bibliothek, wie ihn der sarkastische
selige Christoph Martin Wieland längst in seinen
„Abderiten" schilderte (Abb. 10).