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Die Kunst dem Volke <München> — 1916 (Nr. 25-28)

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Holland, Hyazinth: Karl Spitzweg
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https://doi.org/10.11588/diglit.21067#0069
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22

Abb. 32 (Tcxt folgend)

Lieb Vaterland, magst ruhig sein

„Lieb Vaterland, magst ruhig sein!" (Abb. 32)
wenn bei nachtschlafenderStille selbst die Brünnlein
rasten und der nachtwächterliche Speerträger, von
seinem nur Kätzchen aufsässigen, treuen Spitz beglei-
tet, durch die von geschmolzenem Mondscheinbelegte
Dorsstraße seiner Pflicht obliegt. Selbst der Tor-
hüter an der Ecke des ehemaligen reichstreuen
Winkelkrams darf unter dem trägen Schimmer der
Laterne ein Morgenschläfchen wagen (Abb. 33),
während höchstens ein herzbekümmerter Gitarrist
seiner Huldin einen unbemerkt verschallenden Gruß
vorklimpimbert (Abb. 28). Unser Maler wird mit dem
selbstgefälligen Schmunzeln eines Wilhelm Raabe
an diesen Kabinettsmemoiren gepinselt haben in glück-
seliger Erinnerung, unter seiner zusammenlegbaren,
grünledernen „Beruhigungskappe", die selbst in Rom
das glühende Haupt des Cornelius deckte, während
die ihr Frühpfeifchen bei Morgenkaffee genießenden
hartgesottenen Kaktusfreunde ihre letzten spärlichen,
von rückwärts über die Glatze gestrichelten Lockenreste
der freien Luft aussetzen (Abb. 19 u. 21). Einsiedlerisch
klausen sie alle, in und ohne Kutte, ihren Liebhabereien
obliegend, einen gelehrigen Star vorzeigend, in idealer
Steinwüste. Jn so einen Stalaktitendom verirrt sich
ein dilettierender Steinklopfer, ratlos, was er von diesen
Schätzen mit seinem Hammer der bildenden Natur
nutzlos enteignen könne, wobei ihm ein dicker Frosch
ebenso unvernünftig zuschauend beistimmt (Abb. 8 u. 9).
Diese nutzlose Spezies von „Forschern" steht nicht in
des Malers Gnade. Ein grauer Sonderling auf seiner
behäbigen, mit Vogelkäfigen belasteten feinen Veranda,
bei einem Gläschen Rotwein und seinem Pfeifchen, nach
verdächtigem Rauch in die Ferne witternd (Abb. 46), ist
ebenso glaubhaft wie der mit der Büchse in der Hand
schlafende „wilde Jäger", welchem ein staunender
Lampe ein „Männchen" macht (Abb.22).

Beliebt ist auch eine ihren Thespiskarren begleitende,
durch den Wald ziehende oder ein Dorf beglückende
Schauspieler-„Schmiere", oder die ncben verlockender
Waschbleiche gelagerte Zigeunerbande, während Spitz-
weg fingerfertige Dorftaschenspieler, Jongleure und
Seilspringer bereitwillig an Knaus, Vautier oder Allers'
Zeichenstift überläßt. Doch geht mancherlei hinter den
großen Linnen der Wäscherinnen vor, was sich in
verräterischer Silhouettenform unverhofst bemerklich

macht, wozu die Auen der südöst-
lichen Jsarufer naheliegenden Stoff
zu Beobachtungen liefern. „Platz
für alle hat die Erde", also auch
seine kleinen Zigarrenkistchenbretter.
Wer singen kann, wo der Sonnen-
schein endet, kennt auch den ganzen
Tummelplatz von Spitzwegs Kunst,
welcher nur Kriegs-, Staats- und
diplomatischeAktionen ebenso fremd
und ferne lagen, wie das Porträt
und die hohe aristokratische Welt.
Dagegen ist er mitder ganzenSpieß-
bürgerlichkeit befreundet, weniger
mit den Nimrods und gar nicht
mit denBergkraxlern. Doch erinnert
ein „Vorüber" (Abb.40) an Kobells
„Begegnung" und den im riesigsten Alpengelände
klein verschwindenden „Adlerflug". Mit Defregger
hat er keine Fühlung, eher eine humoristische Stim-
mung zu dem satirischen Grützner, am meisten neigt
er sich nochzudengleichzeitigen,inihrerWeiseeben-
so abgegrenzten Heinrich Bürkel und Seba-
stian Habenschaden. Wer als Dichter sich
empfindet, ist verwandt mit allen Geistern, neigt
sich fromm vor jeder Größe, aber nie vor Splitter-
richtern. Seine Freundschaft mit Schwind war ein
belebender Jungborn; dagegen stammten seine

Phot. F. Bruckmonn A.-G.

Abb. 33 (Text nebenan) Phot. F. Bruckmann A -G.

Fest stcht die Wacht
 
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