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Die Kunst dem Volke <München> — 1916 (Nr. 25-28)

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Holland, Hyazinth: Karl Spitzweg
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https://doi.org/10.11588/diglit.21067#0072
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inWohnungenführendeWendeltreppe,diezuaußer-
gewöhnlicher Zeit nur mittels Grubenlichtern von
einheimischenBergknappen befahrenwerdenkonnte.
AußerdenvielköpfigenJnsassenwarendieWohnun-
gen noch von zahllosen Rattenfamilien aus dem
nahen Stadtbach bevölkert, so daß der im vierten
Stockwerk des Hauses lebende, vielbeliebte und ge-
feierte Hoftheaterkomiker Ferdinand Lang
eines Tages durch einen Rattenkönig beinahe
lebensgefährlich angefallen ward. Von hier aus
genoß unser Maler die Aussicht auf die zum
Schuldentilgungs-Bureau umgestaltete frühere
Herzog-Max-Burg und das durch ein plattes Dach
ausgezeichnete und dadurch würfelförmige Joh.-
Ulrich-Hiembsel-Haus, desfen Ruhm ein in der
Galgenmelodie des „Bayerischen Hiesel" gedich-
tetes Schnaderhüpfel besang. Hiemb-
sel hatte übrigens nach Klenzes Plcinen
das Kgl. Odeon, die Eisenbahn nach
Starnberg und dort das erste Dampf-
schiff angelegt, dessen Kapitän den Ruhm
genoß,infünfundzwanzigjährigerFahr-
zeit nie mit einer anderen Frequenz
in Zusammenstoß gekommen zu sein.

Von seiner Wohnung hatte Spitzweg
nur einen Katzensprung in die befreun-
dete Redaktion der „Fliegenden", zu
eben jener in der „Bockzeit" durch
Geigenklang, Flöte und Harfenspiel
belebten „Achatz"-Restauration, wo es
nach vielen idealen Wirren und Jrrun-
gen auch „Märzenbier und gebratene
Heringe" gab, und zum „Englischen
Kaffeehaus", wohin aus der Rauch-
höhle des „Stubenvoll" die luftbedürf-
tige „Künstler-Sänger-Zunft" ihren
Einzug gehalten hatte. Nach wenigen
Zwischenstationen zwang unsern Maler
die Sehnsucht nach wohlverdientem
Nordlicht, seinHab und Gut in einer eige-
nen Wohnung unterzubringen. Diese
fand sich nach kurzer Odyssee am da-
maligen „Heumarkt" (dem heutigen
„Jakobsplatz") im Hause des wackeren
bürgerlichen „Tändlers" Hasenmüller,
drei fteile, für Seiltänzer paffende
Treppen hoch, die jedoch bald einem
gebahnten lichten Aufgang wichen, mit
wünschenswertem Nordlichtund derteil-
weisen Aussicht auf endlose Dächer,

Giebel, Türme und dem herrlichsten
Horizont mit den reichsten Luft- und
Wolkenspielen, während sein, von Ur-
väterhausrat strohendes und deshalb ob
drohender Feuersgefahr unheizbares
Schlafgemach gegen Süden, wenigftens
dazumal — jetzt ist alles längst ver-
baut —, den weitesten Ausguck bis an
die ferne Alpenkette gewährte. Und
hier in stillster Ungestörtheit, allein
mit seinen Erinnerungen, zu malen, zu
rauchen und einer erquicklichen Welt-

abgeschiedenheit zu obliegen, war seine einzige
Wonne. Um mit Herrn Walther von der Vogel-
weide zu sprechen, „keine Freude, nur ein kleines
Freudelein, wenn ich's Euch sage, ihr spottet
meiner, doch freut sich selten Einer, er wisse
warum"^). Gegen unbefugte Besuche in seiner
einsiedelnden Domäne hütete ihn willig, sicher
und treu eine zuverlässige „Häuserin", die nur
seine auserlesenen Getreuen mit knurrender
Freundlichkeit zuließ. Auffällig war die Unzahl
schwerer, stark angerauchter, großer, ahornhölzener
Zigarrenspitzen, die getrocknet zum etwaigen
Wiedergebrauch auf dem Sims des Atelierfensters
wartend lagerten. Auch Schwind züchtete auf
einem Schemel in seinem Atelier eine über-
raschende Anlage von verrauchten Zigarrenresten,

Abb. 38 (Tcxt S. 20)

Phot. F. Bruckmann A.-G.

Er kommt

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