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Abb. 39 lTert nebenait) Phot. F. Vruckmann A.-G.
Dcr Stelzfuß
Jn diesem dem Anspruchslosen
völlig genügenden Heim spann er
wohlig seines verborgenen Daseins
Fäden. Hier entstanden diese in
Höhlen und Steinwüsteneien hau-
senden Anachoreten (Abb.42—45),
Sonntagsjäger,vormärzlichenStadt-
sergeanten (Abb. 37, 39 u. 4t), Bü-
cherwürmer und Antiquare, schla-
fenden Schreiberseelen und Feder-
schneider, Briefträger (Abb. 47),
Postomnibus-Jnsassen, Schulmei-
ster, Botaniker und Pensionisten
(Abb. 19 u. 21), ewigen Hochzeiter
(Abb. 48); eine unverkennbare Ver-
wandtschaft mit Schwinds früheren
„Verlegenheiten" und „Krähwinke-
laden" lag immernoch inderLuft,die
AlpenszenenmitSennerinnen,Berg-
und Waldfahrern, aber auch nach
venetianischen Motiven rauchende
Moslims und echt türkische Kaffee-
die erst bei der Ausstellung der „Sieben Raben"
abgeräumt wurden. Ein gichtbrüchiges Sofa
bot kaum behaglichen Sitz. Etliche steife Stroh-
stühle, einer schlecht gepolstert, vor der früher
üblichen dreibeinigen Staffelei, welche später
doch einer neueren Konstruktion weichen durfte,
luden nicht zu längerem Verweilen. An einem
kaum meterlangen seitwärts stehenden, oben mit
grüner Olfarbe gestrichenen Tischchen genoß
der Jnsasse sein Mokkafrühstück, sein frugales
Mittagessen und magers Abendbrot, wozu eine
kleine grüne Blechlampe mit äitto Schirm die
Beleuchtung konzentrierte. Hier oblag der be-
dürfnislose Meister seiner Korrespondenz und
Lektüre. Er schrieb, wie er sprach, breit detailliert,
mit stoßweise herausgehaspeltem,stockendem Vor-
trag. Auch Verse flossen ihm ungesucht aus
der Feder, bei sarkastischer Stimmung in mund-
artiger Münchener Färbung; das elegisch Pa-
thetische wußte er mitunter in formvollendeten
Wortklang zu kleiden. Metrische Feile war un-
nötig; der erste gute Wurf saß immer fest, wie
auch in seinen Schöpfungen mit Stift — man
denkt an seine „Skizzenbücher" — und Pinsel.
Bei Büchern lag ihm Theoretik und Spekulation
ferne, doch machte er fich, wie erwähnt, einmal
an Burnets „Prinzipien der Malerkunst";
Reisen-, Länder- und Völkerkunde waren er-
wünscht, auch schöne Literatur, z. B. Ulrich
Hegners „Molkenkur" (in der billigen Reclam-
Bibliothek 296/97) lag einmal halb aufge-
schnitten in Arbeit; den Anfang — er dachte
vielleicht an seinen früheren Aufenthalt im
ländlichen Bade Sulz am Fuße des Peißen-
berges — erklärte er vorläufig ganz nach seinem
Gefchmack, der nichts Aufregendes brauchen
könne; die Warnung, daß es vielleicht doch
ganz anders komme, verfing nicht.
Vorüber
Abb. 39 lTert nebenait) Phot. F. Vruckmann A.-G.
Dcr Stelzfuß
Jn diesem dem Anspruchslosen
völlig genügenden Heim spann er
wohlig seines verborgenen Daseins
Fäden. Hier entstanden diese in
Höhlen und Steinwüsteneien hau-
senden Anachoreten (Abb.42—45),
Sonntagsjäger,vormärzlichenStadt-
sergeanten (Abb. 37, 39 u. 4t), Bü-
cherwürmer und Antiquare, schla-
fenden Schreiberseelen und Feder-
schneider, Briefträger (Abb. 47),
Postomnibus-Jnsassen, Schulmei-
ster, Botaniker und Pensionisten
(Abb. 19 u. 21), ewigen Hochzeiter
(Abb. 48); eine unverkennbare Ver-
wandtschaft mit Schwinds früheren
„Verlegenheiten" und „Krähwinke-
laden" lag immernoch inderLuft,die
AlpenszenenmitSennerinnen,Berg-
und Waldfahrern, aber auch nach
venetianischen Motiven rauchende
Moslims und echt türkische Kaffee-
die erst bei der Ausstellung der „Sieben Raben"
abgeräumt wurden. Ein gichtbrüchiges Sofa
bot kaum behaglichen Sitz. Etliche steife Stroh-
stühle, einer schlecht gepolstert, vor der früher
üblichen dreibeinigen Staffelei, welche später
doch einer neueren Konstruktion weichen durfte,
luden nicht zu längerem Verweilen. An einem
kaum meterlangen seitwärts stehenden, oben mit
grüner Olfarbe gestrichenen Tischchen genoß
der Jnsasse sein Mokkafrühstück, sein frugales
Mittagessen und magers Abendbrot, wozu eine
kleine grüne Blechlampe mit äitto Schirm die
Beleuchtung konzentrierte. Hier oblag der be-
dürfnislose Meister seiner Korrespondenz und
Lektüre. Er schrieb, wie er sprach, breit detailliert,
mit stoßweise herausgehaspeltem,stockendem Vor-
trag. Auch Verse flossen ihm ungesucht aus
der Feder, bei sarkastischer Stimmung in mund-
artiger Münchener Färbung; das elegisch Pa-
thetische wußte er mitunter in formvollendeten
Wortklang zu kleiden. Metrische Feile war un-
nötig; der erste gute Wurf saß immer fest, wie
auch in seinen Schöpfungen mit Stift — man
denkt an seine „Skizzenbücher" — und Pinsel.
Bei Büchern lag ihm Theoretik und Spekulation
ferne, doch machte er fich, wie erwähnt, einmal
an Burnets „Prinzipien der Malerkunst";
Reisen-, Länder- und Völkerkunde waren er-
wünscht, auch schöne Literatur, z. B. Ulrich
Hegners „Molkenkur" (in der billigen Reclam-
Bibliothek 296/97) lag einmal halb aufge-
schnitten in Arbeit; den Anfang — er dachte
vielleicht an seinen früheren Aufenthalt im
ländlichen Bade Sulz am Fuße des Peißen-
berges — erklärte er vorläufig ganz nach seinem
Gefchmack, der nichts Aufregendes brauchen
könne; die Warnung, daß es vielleicht doch
ganz anders komme, verfing nicht.
Vorüber