Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1916 (Nr. 25-28)

DOI issue:
Kosch, Wilhelm: Ferdinand Georg Waldmüller
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.21067#0167
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
40

man zählte etwa fünfhundert Gemälde, die er
zu Lebzeiten verkauft hatte, so gering ftellte fich
seinmaterielles Vermögen, seine finanzielle Hinter-
lafsenschaft dar. Wir wissen, daß er trotz seiner
gewaltigen Schaffensfülle öfter darbte und Frau
Sorge mehr als einmal an die Tür seines Ateliers
pochte. Diese traurige Tatsache wird durch die
mißliche Lage des damaligen österreichischen Kunst-
markts hinlänglich aufgeklärt. Mit Ausnahme
von einzelnen Modemalern, wie Amerling, zu
denen jedoch Waldmüller nicht gehörte, mußten
selbst Porträtkünstler mit sehr bescheidenen Hono-
raren vorlieb nehmen. Der Durchschnittspreis
für ein Originalbildnis in Lebensgröße betrug
150 bis 200 Gulden. Für kleine Stilleben und
Landschaften bekam er öO Gulden. Nur große sigu-
renreiche Genrebilder brachten es auf über 200 Gul-
den. Einzigartige Meisterwerke wie die „St. Jo-
hannisandacht" (Abb. 33) erzielten 800 Gulden.
Ein Jahrzehnt nach Waldmüller erhielt der glück-
liche Besitzer das Zehnfache. Künstlertragik und
Kunstwucher, wie nahe stehen beide nebeneinander!
Heute gehört ein gutes Gemälde des Meisters
zu den Schätzen von Museen und Millionären!

Trotz seiner bescheidenen Forderungen war
Waldmüller oft genug nicht in der Lage, seine
Schöpfungen anzubringen. So besaß er 1856 über
dreißig Bilder in seinem Atelier, für die sich
kein Käufer ftnden wollte. Da bekam er eine
Einladung aus Philadelphia, er möge dort seine
Gemälde veräußern. Ehe der Greis sich zu der
Ozeanfahrt entschloß, versuchte er es noch ein-
mal mit einer Ausstellung in Wien. Aber nicht
ein einziger Landsmann griff zu. Jnfolgedessen
sah sich Waldmüller gezwungen, im Ausland sein
Glück zu versuchen. Die königliche Familie in
London interessierte sich sür einige seiner Arbeiten,

worauf auch die übrigen leicht Liebhaber fanden,
und so brachte er auch nicht eine einzige nach
Hause zurück. Auch die Weiterreise nach Amerika
war überflüssig geworden.

1863 befand sich Waldmüller abermals in
Notlage, nur daß er jetzt keine Möglichkeit sah,
durch eine größere Reise sein Glück zu versuchen.
Bei der Versteigerung, die in Wien stattfand und
über neunzig Bilder des Künstlers auf den Markt
brachte, wurde der ganze Jnhalt des Ateliers zu
einem Spottpreis verschleudert. Manche Stücke
trugen ihm nicht mehr als 10 Gulden ein. 1872
zahlte man für die „Christbescherung" (Abb. 39)
allein 17 000 Gulden. Der Künstler hatte nichts
davon. Er ruhte um diese Zeit längst schon in
kühler Erde.

Leider verstanden es die öffentlichen Samm-
lungen nicht, sich rechtzeitig in den Besitz hervor-
ragender Meisterwerke Waldmüllers zu setzen.
Einzig und allein der regierende Fürst Johann II.
von Liechtenstein, der verständnisvollste, opfer-
willigste und selbstloseste Mäzen, der im ganzen
deutschen Sprachgebiet jahrzehntelang nicht seines-
gleichen hatte, schenkte nicht bloß der Wiener
Akademie der bildenden Künste eine Reihe von
Bildern, sondern vereinigte auch in seiner Haus-
galerie eine auserlesene Anzahl typischer Ge-
mälde, die Waldmüllers Vielseitigkeit in jeder
Richtung zum Ausdruck bringen. Wenn heute
das Wiener Publikum das Lebenswerk seines
bodenständigsten Genius genießen kann und im-
stande ist, auf eine Waldmüller-Sammlung in den
Mauern seiner Vaterstadt hinzuweisen, so ver-
dankt es dies lediglich dem Kunststnn und der
Großmut jenes Fürsten, der in den Annalen der
Kunstgeschichte fortleben wird gleich seinem un-
sterblichen Liebling für alle Zeiten.

Abb. 55 (Teri S. 18)

Stilleben

Phot. Fz. Hanfstaengl
 
Annotationen