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Die Kunst dem Volke <München> — 1917 (Nr. 29-31)

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Kreitmaier, Josef: Edward von Steinle
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https://doi.org/10.11588/diglit.21069#0078
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Stemle hat dieses Bild „Christus und die Seele"
genanut (Abb. 11). Es ist eine Sepiazeich-
nung mit Weiß gehöht aus dem Jahre 1853.
Derselbe Gedanke kehrt in der großen allegori-
schen Kompositiou „Die drei Reiche der Welt"
wieder, nur mit dem Unterschied, daß der den
Versuchungen der Welt Entflohene seine Hände
hilsesuchend zum Heiland cmporringt.

Die christliche Wahrheit, daß der Heiland als
Gottmensch an Wert alle Engel überragt, hat
Steinle wiederholt durch „Schaukelengel" zur
Darstellung gebracht (Abb. 6), die sich vergeb-
lich abmühen, das kleine Jesuskind durch ihr
vereintes Gewicht emporzuziehen. Nur ein lauteres
Gemüt ist imstande, so wundersame Fernklänge
aus unserer seligen Kindheit in unser Herz zu
zaubern. — An die Holdseligkeit eines Fra
Angelieo erinnern die beiden Franziskusbilder:
Franziskus auf dcm Sterbedett (Abb. 23) und
Franzisküs in der Einöde (Abb. 24). Das
erstere aus dem Jahre 1855 ist in Sepia aus-
geführt, das letztere von 1864 in Aguarellfarben.
Der Heilige liegt ausgestreckt auf seinem ärm-

Abb. 5Ü (Text S. 35) Phot. F. Bruckmann A.-G.

Chronika eincs fahrcnden Schülcrs 1854

Abb. 51 (Text S. 38) Phot. F. Bruckmann A.-G.

Tcr Türmcr 1859

lichcn Bett. Ein Engel voll vollendeter Grazie
spielt eifrig auf seinem Jnstrument himmlische
Melodien, deren Klang unser Künstlcr ganz un-
übertrefflich in die beseligten Züge des Heiligen
zu übertragen wußte. Das andere Bild ist nur
eine geniale Variation desselben Themas. Fran-
ziskus sitzt in stiller Waldeinsamkeit, von Vögeln
umzwitschert, vor scincr Einsiedelei und lauscht
in ftummer Verzückung den Melodien, welche die
herrliche Engelscrscheinung seiner Geige entlockt.

Man hatte Stcinle Süßigkeit vorgeworfen.
Diese ist gewiß in hohem Grade vorhanden;
aber seine Süßigkeit ist nicht ein negativer Wert,
sondern wie bei Fra Angelico ein positiver. Es
ist nicht Zuckerwasser, was er bietet, sondern süßer,
kräftigender Wein. Nur ganz selten wirkt seine
Grazie schwächlich; in solchen Fällen war er eben
nicht in Stimmung. Und wenn selbst ein Homer
bisweilen „geschlafen" hat, dann durfte es auch
Steinle.

Es wurde schon darauf hingewiesen, daß vor
 
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