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Sehnsucht." Liebe wurde ihm wahrlich auch nicht
von allen entgegengebracht, ja von vielen nicht:
er war geradezu ein von nicht wenigen gehaßter,
selbst versolgter Mann. Daran trugen viel Schuld
die Parteiungen der erregten Zeit. Er selbst be-
kennt von sich, und dieses Bekenntnis will gewürdigt
sein: „Etwas Gold ist unter dem Ton meines
Herzens; aber die Töpfermasse herrscht gewaltig
vor." Für jeden Fall war doch auch er der
warme Feuerbachsche Mensch. Das lassen die
Briefe erkennen, die er an seinen Vater schrieb,
sowie an seinen Freund, den Philosophen Fr. H.
Jacobi, „die typische Persönlichkeit für die Ent-
wicklung des deutschen Gefühlslebens aus der
Zeit von Sturm und Drang bis in die der
Romantik", und auch an
die Gräfin Elise von der
Recke, die auch Goethe
nachbarlicher Beziehun-
gen wert hielt. So
schreibt Feuerbach, dem
Recht und Strafe und
Völkerschicksalezudenken
gaben, unmittelbar nach
Empfang eines beson-
ders lieben Freund-
schastsbriefes: „Jch
sprang wie ein kleines
Kind, zu dem der heilige
Christ gekommen, den
Brief lesend und wieder
lesend im Zimmer her-
um." Ganz ähnliches
schreibtspätersein Enkel-
kind, nur aber aus seinen
jungen Jahren. Von
den Söhnen, die, was
als Ausnahme von der
Regel erscheinen mag,
nicht unbedeutende
Nachkommen eines gro-
ßenVaterswaren, wurde
dieser hochverehrt.
Jm Erstgebornen, der
wie der Vater Anselm
hieß, entwickelte sich das Erbgut des tiefen Gefühls
zum ausgeprägten Sinn sür die Schöpfungen
der bildenden Kunst. Jn den Kindertagen sendet
er mit seinem Bruder Karl dem Großvater als
Neujahrswunsch eine kleine Probe ihrer Geschick-
lichkeit im Zeichnen. Und der Vater bestätigt, daß
sie das volle Eigentum seiner Kinder ist. Schon
im Hause des Juristen Feuerbach wurde das
Zeichnen als Bestandteil einer guten Ausbildung
der Kinder eingeschätzt. Ludwigs, des Dritt-
gebornen Namen bewahrt die Geschichte der
Philosophie. So radikal Ludwig Feuerbach in
seiner Religionsphilosophie dachte, und so sehr
er, trotz seines Ausganges von Hegel, die Er-
kenntnis schließlich ganz auf die Sinnesempfindung
gründen wollte, als Mensch war er in seiner
persönlichen Art reiner Jdealist: hochsinnig und
menschensreundlich und wahr. Aber von dem
Erstgebornen muß noch mehr erzählt werden:
er ist der Vater des Malers Anselm Feuerbach.
Er war eine feine und reiche Natur, die in sich
einen Hang zu selbstquälerischem Leiden trug.
Direkt widrigen Lebensumständen gegenüber, die
ihm die Möglichkeit sich voll auszuwirken nahmen,
vermochte er sich nicht durchzusetzen. Es legte sich
auf seine Seele in zunehmendem Maße die Schwer-
mut. Diese Seelenstimmung spricht deutlich aus
dem Bilde von der Hand des siebzehnjährigen
Sohnes (Abb. 3). Auch das von der stark dunklen
Tönung sich nahezu grell abhebende Weiß des
Hemdkragens hat — gewollt oder ungewollt —
Stimmungswert. Die Modellierung des Gesichtes
entbehrt, wie natürlich, noch der freien Sicherheit.
Dem innern Gefüge und
Gesetze nach ist das Leben
des Professors Anselm
Feuerbach nicht unähn-
lich dem eines Größern:
dem Hölderlins. Wie
dieser, sah auch er das
künstlerische Jdeal im
weitesten Sinn des Wor-
tes im klassischen Alter-
tum. Dem in der dama-
ligen Zeit als größtes
antikesKunstwerkgewer-
teten Apollo vom va-
tikanischen Belvedere,
widmete er eine Reihe
archäologisch-ästhetischer
Betrachtungen von gro-
ßer Feinheit. Diesem
Werk (Nürnberg 1833)
verdankte er den lang-
ersehnten Aufstieg vom
Gymnasiallehrer zum
akademischenLehrer: von
Speher kam er 1836 nach
Freiburg i. B. Heidel-
berg blieb ihm als Höhe-
punkt versagt. Und Frei-
burg ward ihm, trotz der
Verehrung, deren er sich
beiseinen Hörern erfreute, zum Ort der Qual. Ver-
mählt war er in erster Ehe mit Am alieKeerl. Das
ist die Mutter von Anselm Feuerbach, dem Maler,
der in dunkler, freilich nur mittelbarer Erinnerung
ein lichtes Bild von ihr bewahrte, das Bild
einer schönen, stillen Frau. „Jn einem niedlichen
Häuschen an der Stadtmauer mit dem kleinen
Garten voll Rosen und Lilien" wohnte die Familie
in Speyer. Da wurde Anselm geboren am
12. September 1829. Zwei Jahre vorher war
die Schwester Emilie zur Welt gekommen. Aus
dem beigegebenen, an van Dhck gemahnenden
Bilde (Abb. 6), einem Jugendwerk des Bruders,
mag man manches von dem ablesen, was dieser
in Worten des „Vermächtnisses", bei denen ihn
sichtlich geschwisterliches Gedenken leitete, von
seiner Schwester schrieb: „Meine Schwester war
ein zartes Geschöpfchen, feingliedrig, voller Be-
Abb. 4 (Text^S.Ijb u. 40) Phol. F. Bruckmann
.Bildnis der Mutter
Sehnsucht." Liebe wurde ihm wahrlich auch nicht
von allen entgegengebracht, ja von vielen nicht:
er war geradezu ein von nicht wenigen gehaßter,
selbst versolgter Mann. Daran trugen viel Schuld
die Parteiungen der erregten Zeit. Er selbst be-
kennt von sich, und dieses Bekenntnis will gewürdigt
sein: „Etwas Gold ist unter dem Ton meines
Herzens; aber die Töpfermasse herrscht gewaltig
vor." Für jeden Fall war doch auch er der
warme Feuerbachsche Mensch. Das lassen die
Briefe erkennen, die er an seinen Vater schrieb,
sowie an seinen Freund, den Philosophen Fr. H.
Jacobi, „die typische Persönlichkeit für die Ent-
wicklung des deutschen Gefühlslebens aus der
Zeit von Sturm und Drang bis in die der
Romantik", und auch an
die Gräfin Elise von der
Recke, die auch Goethe
nachbarlicher Beziehun-
gen wert hielt. So
schreibt Feuerbach, dem
Recht und Strafe und
Völkerschicksalezudenken
gaben, unmittelbar nach
Empfang eines beson-
ders lieben Freund-
schastsbriefes: „Jch
sprang wie ein kleines
Kind, zu dem der heilige
Christ gekommen, den
Brief lesend und wieder
lesend im Zimmer her-
um." Ganz ähnliches
schreibtspätersein Enkel-
kind, nur aber aus seinen
jungen Jahren. Von
den Söhnen, die, was
als Ausnahme von der
Regel erscheinen mag,
nicht unbedeutende
Nachkommen eines gro-
ßenVaterswaren, wurde
dieser hochverehrt.
Jm Erstgebornen, der
wie der Vater Anselm
hieß, entwickelte sich das Erbgut des tiefen Gefühls
zum ausgeprägten Sinn sür die Schöpfungen
der bildenden Kunst. Jn den Kindertagen sendet
er mit seinem Bruder Karl dem Großvater als
Neujahrswunsch eine kleine Probe ihrer Geschick-
lichkeit im Zeichnen. Und der Vater bestätigt, daß
sie das volle Eigentum seiner Kinder ist. Schon
im Hause des Juristen Feuerbach wurde das
Zeichnen als Bestandteil einer guten Ausbildung
der Kinder eingeschätzt. Ludwigs, des Dritt-
gebornen Namen bewahrt die Geschichte der
Philosophie. So radikal Ludwig Feuerbach in
seiner Religionsphilosophie dachte, und so sehr
er, trotz seines Ausganges von Hegel, die Er-
kenntnis schließlich ganz auf die Sinnesempfindung
gründen wollte, als Mensch war er in seiner
persönlichen Art reiner Jdealist: hochsinnig und
menschensreundlich und wahr. Aber von dem
Erstgebornen muß noch mehr erzählt werden:
er ist der Vater des Malers Anselm Feuerbach.
Er war eine feine und reiche Natur, die in sich
einen Hang zu selbstquälerischem Leiden trug.
Direkt widrigen Lebensumständen gegenüber, die
ihm die Möglichkeit sich voll auszuwirken nahmen,
vermochte er sich nicht durchzusetzen. Es legte sich
auf seine Seele in zunehmendem Maße die Schwer-
mut. Diese Seelenstimmung spricht deutlich aus
dem Bilde von der Hand des siebzehnjährigen
Sohnes (Abb. 3). Auch das von der stark dunklen
Tönung sich nahezu grell abhebende Weiß des
Hemdkragens hat — gewollt oder ungewollt —
Stimmungswert. Die Modellierung des Gesichtes
entbehrt, wie natürlich, noch der freien Sicherheit.
Dem innern Gefüge und
Gesetze nach ist das Leben
des Professors Anselm
Feuerbach nicht unähn-
lich dem eines Größern:
dem Hölderlins. Wie
dieser, sah auch er das
künstlerische Jdeal im
weitesten Sinn des Wor-
tes im klassischen Alter-
tum. Dem in der dama-
ligen Zeit als größtes
antikesKunstwerkgewer-
teten Apollo vom va-
tikanischen Belvedere,
widmete er eine Reihe
archäologisch-ästhetischer
Betrachtungen von gro-
ßer Feinheit. Diesem
Werk (Nürnberg 1833)
verdankte er den lang-
ersehnten Aufstieg vom
Gymnasiallehrer zum
akademischenLehrer: von
Speher kam er 1836 nach
Freiburg i. B. Heidel-
berg blieb ihm als Höhe-
punkt versagt. Und Frei-
burg ward ihm, trotz der
Verehrung, deren er sich
beiseinen Hörern erfreute, zum Ort der Qual. Ver-
mählt war er in erster Ehe mit Am alieKeerl. Das
ist die Mutter von Anselm Feuerbach, dem Maler,
der in dunkler, freilich nur mittelbarer Erinnerung
ein lichtes Bild von ihr bewahrte, das Bild
einer schönen, stillen Frau. „Jn einem niedlichen
Häuschen an der Stadtmauer mit dem kleinen
Garten voll Rosen und Lilien" wohnte die Familie
in Speyer. Da wurde Anselm geboren am
12. September 1829. Zwei Jahre vorher war
die Schwester Emilie zur Welt gekommen. Aus
dem beigegebenen, an van Dhck gemahnenden
Bilde (Abb. 6), einem Jugendwerk des Bruders,
mag man manches von dem ablesen, was dieser
in Worten des „Vermächtnisses", bei denen ihn
sichtlich geschwisterliches Gedenken leitete, von
seiner Schwester schrieb: „Meine Schwester war
ein zartes Geschöpfchen, feingliedrig, voller Be-
Abb. 4 (Text^S.Ijb u. 40) Phol. F. Bruckmann
.Bildnis der Mutter