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knapp bemessen der Raum ist, die Briefe, in
denen Feuerbach der Mutter die Reise schildert,
dürfen nicht übergangen werden. „Drinnen in
den Bergen, da", erzählt er, „war es, wo mir
die erste Beseligung kam.ringsherum
Totenstille, hoch über mir die bleichgeröteten
Alpen, im weiten Kranz die Eisriesen, so rein
gezeichnet.bei Bozen die ersten Zypressen
und Oliven. Das Sarcatal.ganz
italienisch, da fühlte ich zuerst, wie man Jtalien
malen müsse- Riva, da lag der Gardasee im
Mondenschein und wir fragten, wachen oder
träumen wir. Die Eisenbahn führt uns
ins endlose Meer hinein.da liegt Venedig,
langgestreckt mit zahllosen Lichtern, als wolle
es in der Nachtkühle baden. Gondeln liegen da,
wir steigen ein und geräuschlos taucht Palast
um Palast auf. Die Gondoliere bücken
sich unter Brücken und rufen sich zu." Das
Bild der Stadt: „Venedig ist wunderbar in
seinem heitern Glanze, seiner träumerischen Ruhe,
noch wunderbarer im Sturm, wenn die Möven-
schwärme hereinflüchten, während das Meer sich
donnernd bricht an den Murazzi." Doch kann
es auch düster und ernst sein. Von seiner Stimmung
erzählt Feuerbach: „Zuerst nachts beim Einfahren
sprachloses Staunen, niederdrückende Melancholie,
dann eine innere Freude, die die Brust zu sprengen
drohte." Seine Augen tranken von dem goldenen
Uberfluß der Welt. Er sah als Künstler: „Jch
habe ein Paar helle Augen im Kopfe, die un-
mittelbar ins Herz führen und so stehen meine
Eindrücke wie geharnischte Männer in meiner
Brust." Nicht vergißt er der Lieben daheim
und nicht des toten Vaters: „Jch muß immer-
während an den lieben Vater denken und es
ergreift mich dann namenlose Wehmut." Was
immer äußerlich dazu beigetragen hatte, daß er
Deutschland verließ, so eigentlich hatte ihn, wie
den Vater, die Kunst nach Jtalien geführt: seine
Kunst, die ungeboren noch in ihm lag. Nun
war sie am Erwachen: „Jch habe noch wenig
Bilder gesehen in der Kühle einiger Kirchen,
aber genug, um jetzt zu wissen, worin meine
Zukunft liegt. Alles, was ich so dunkel gefühlt,
ist hier ans Licht gebracht." Jm „Ver-
mächtnis" spricht er auch noch von dem Einklang
der äußeren Umgebung mit seiner inneren Seelen-
stimmung. Jn Stille, abgeschlossen von der
modernenWelt, will er in dieser Stadt der Toten,
denen er sich verwandter fühlt als den Lebenden,
Lebendiges schaffen. „Alle unsere moderne Kunst
macht mir keine Sorge mehr, ich bin da, wo ich
sein muß." Diese große Sicherheit! Sie ist dem
starken Talente eigen. Aber auch ihm fällt die
Erfüllung nicht mühelos, nicht leidtos zu. Zu-
nächst kopierte Feuerbach den größten und liebens-
würdigsten Meister der alten Venezianer, Tizian,
und zwar seine Assunta (Himmel-
fahrt Mariens). Mit dieser Kopie
wollte er seine Verpflichtung aus
dem großherzoglichen Stipendium
einlösen. Jm stillen knüpfte er noch
weitere Hoffnungen daran. Er ar-
beitete mit Kopistenfleiß. Die tech-
nische Fertigkeit, die sich zu erwerben
er keine Mühe gescheut hatte, half
ihm der Schwierigkeiten Herr wer-
den. Wohl mußte er die Arbeit
einmal unterbrechen, um sich die
wirklich notwendige Erholung zu
gönnen. Da ging er mit Scheffel,
auf dessen Vorschlag hin, an den
Gardasee nach Castell Toblino.
Dankend gedenkt das „Vermächtnis"
der Tage: „Gesegnet sei dieser stille,
reine, heilige, von keiner Kultur
berührte Gebirgswinkel mit seiner
herben großen Natur. und
seinen einfachen, guten Menschen."
Der Aufenthalt trug auch Früchte
für seine Kunst. Feuerbach malte Landschaften
in der Natur: „. . . . ich ... fühle mich mit
wachsender Sicherheit im Landschaftern unbe-
schreiblich glücklich .... Die Natur ist wild,
groß und streng, wie historischer Boden." So
zeigt er sie im Bilde (Abb. 12). Man mag
etwas an Rottmann denken, der als erster dahin
gezogen war. Scheffel erzählt in den Reise-
bildern auch davon, wie Meister Anselmus, der
Maler, draußen im Sarcatal malte. Der Ab-
schied fiel ihm schwer: „Jetzt, wo ich mit der
Natur beginne vertrauter zu werden, jetzt muß
ich gehen." Das unscheinbare Wort ist
von Bedeutung. Gerade das Landschaftliche gibt
einem Bilde Feuerbachs oft viel von dem ihm
eigenen Reiz und Wert. Nach Venedig zurück-
gekehrt, volleudete er die Arbeit an der Assunta
und ließ sie dann nach Karlsruhe abgehen. Als
sie dort ohne sein Verschulden mit Verspätung
eintraf, gab das Anlaß zu allerhand Redereien.
Sie verstummten vor dem Bilde; Feuerbach be-
kommt zu hören, der Fürst habe weiteres mit
Abb. 28 (T-xl S. 3S) Ph°1. F. Bruckmann
Studic zur Pietä
knapp bemessen der Raum ist, die Briefe, in
denen Feuerbach der Mutter die Reise schildert,
dürfen nicht übergangen werden. „Drinnen in
den Bergen, da", erzählt er, „war es, wo mir
die erste Beseligung kam.ringsherum
Totenstille, hoch über mir die bleichgeröteten
Alpen, im weiten Kranz die Eisriesen, so rein
gezeichnet.bei Bozen die ersten Zypressen
und Oliven. Das Sarcatal.ganz
italienisch, da fühlte ich zuerst, wie man Jtalien
malen müsse- Riva, da lag der Gardasee im
Mondenschein und wir fragten, wachen oder
träumen wir. Die Eisenbahn führt uns
ins endlose Meer hinein.da liegt Venedig,
langgestreckt mit zahllosen Lichtern, als wolle
es in der Nachtkühle baden. Gondeln liegen da,
wir steigen ein und geräuschlos taucht Palast
um Palast auf. Die Gondoliere bücken
sich unter Brücken und rufen sich zu." Das
Bild der Stadt: „Venedig ist wunderbar in
seinem heitern Glanze, seiner träumerischen Ruhe,
noch wunderbarer im Sturm, wenn die Möven-
schwärme hereinflüchten, während das Meer sich
donnernd bricht an den Murazzi." Doch kann
es auch düster und ernst sein. Von seiner Stimmung
erzählt Feuerbach: „Zuerst nachts beim Einfahren
sprachloses Staunen, niederdrückende Melancholie,
dann eine innere Freude, die die Brust zu sprengen
drohte." Seine Augen tranken von dem goldenen
Uberfluß der Welt. Er sah als Künstler: „Jch
habe ein Paar helle Augen im Kopfe, die un-
mittelbar ins Herz führen und so stehen meine
Eindrücke wie geharnischte Männer in meiner
Brust." Nicht vergißt er der Lieben daheim
und nicht des toten Vaters: „Jch muß immer-
während an den lieben Vater denken und es
ergreift mich dann namenlose Wehmut." Was
immer äußerlich dazu beigetragen hatte, daß er
Deutschland verließ, so eigentlich hatte ihn, wie
den Vater, die Kunst nach Jtalien geführt: seine
Kunst, die ungeboren noch in ihm lag. Nun
war sie am Erwachen: „Jch habe noch wenig
Bilder gesehen in der Kühle einiger Kirchen,
aber genug, um jetzt zu wissen, worin meine
Zukunft liegt. Alles, was ich so dunkel gefühlt,
ist hier ans Licht gebracht." Jm „Ver-
mächtnis" spricht er auch noch von dem Einklang
der äußeren Umgebung mit seiner inneren Seelen-
stimmung. Jn Stille, abgeschlossen von der
modernenWelt, will er in dieser Stadt der Toten,
denen er sich verwandter fühlt als den Lebenden,
Lebendiges schaffen. „Alle unsere moderne Kunst
macht mir keine Sorge mehr, ich bin da, wo ich
sein muß." Diese große Sicherheit! Sie ist dem
starken Talente eigen. Aber auch ihm fällt die
Erfüllung nicht mühelos, nicht leidtos zu. Zu-
nächst kopierte Feuerbach den größten und liebens-
würdigsten Meister der alten Venezianer, Tizian,
und zwar seine Assunta (Himmel-
fahrt Mariens). Mit dieser Kopie
wollte er seine Verpflichtung aus
dem großherzoglichen Stipendium
einlösen. Jm stillen knüpfte er noch
weitere Hoffnungen daran. Er ar-
beitete mit Kopistenfleiß. Die tech-
nische Fertigkeit, die sich zu erwerben
er keine Mühe gescheut hatte, half
ihm der Schwierigkeiten Herr wer-
den. Wohl mußte er die Arbeit
einmal unterbrechen, um sich die
wirklich notwendige Erholung zu
gönnen. Da ging er mit Scheffel,
auf dessen Vorschlag hin, an den
Gardasee nach Castell Toblino.
Dankend gedenkt das „Vermächtnis"
der Tage: „Gesegnet sei dieser stille,
reine, heilige, von keiner Kultur
berührte Gebirgswinkel mit seiner
herben großen Natur. und
seinen einfachen, guten Menschen."
Der Aufenthalt trug auch Früchte
für seine Kunst. Feuerbach malte Landschaften
in der Natur: „. . . . ich ... fühle mich mit
wachsender Sicherheit im Landschaftern unbe-
schreiblich glücklich .... Die Natur ist wild,
groß und streng, wie historischer Boden." So
zeigt er sie im Bilde (Abb. 12). Man mag
etwas an Rottmann denken, der als erster dahin
gezogen war. Scheffel erzählt in den Reise-
bildern auch davon, wie Meister Anselmus, der
Maler, draußen im Sarcatal malte. Der Ab-
schied fiel ihm schwer: „Jetzt, wo ich mit der
Natur beginne vertrauter zu werden, jetzt muß
ich gehen." Das unscheinbare Wort ist
von Bedeutung. Gerade das Landschaftliche gibt
einem Bilde Feuerbachs oft viel von dem ihm
eigenen Reiz und Wert. Nach Venedig zurück-
gekehrt, volleudete er die Arbeit an der Assunta
und ließ sie dann nach Karlsruhe abgehen. Als
sie dort ohne sein Verschulden mit Verspätung
eintraf, gab das Anlaß zu allerhand Redereien.
Sie verstummten vor dem Bilde; Feuerbach be-
kommt zu hören, der Fürst habe weiteres mit
Abb. 28 (T-xl S. 3S) Ph°1. F. Bruckmann
Studic zur Pietä