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Die Kunst dem Volke <München> — 1917 (Nr. 29-31)

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https://doi.org/10.11588/diglit.21069#0150
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Abb. 29 (Text S. S5)

ihm vor. Er nimmt
das mit der ihm eige-
nen Hoffnungsfreudig-
keit auf: „Der Fürst
läßt denFeuerbach nicht
fallen." Da nun das
Kopieren vorläufig zu
Endeist, willFeuerbach
selbständig schaffen. Er
legte sofort einige Bil-
der, eines nach dem
andern, an. Eines
davon vollendete er: die
„Poesie"(Abb.14).Der
Künftlerselbstbeschreibt
sie: „Eine stehende, be-
kleidete weiblicheFigur,

ernst., mit einem " " Badende Kindcr

Lorbeerkranz, sie hat

auf einer altmodischen Violine gespielt und

steht nun da in tiefe Gedanken versenkt."

Die Beschreibung ist für die Bildbetrachtung
das erfte. Es kann hier nicht so ausführlich
gezeigt werden, wie sie eigentlich durchgeführt
werden sollte: sie kann nicht genau genug gemacht
werden. Nur so wird ein Kunstwerk wirklich
gesehen. „Wer ein Kunstwerk verstehen und
genießen will," so rät Feuerbach selber, „der
gehe, womöglich ohne Begleitung und kaufe sich
einen Stuhl, wenn solcher zu haben ist, setze sich
in richtiger Distance und suche, in Schweigen
verharrend, wenigstens für eine Viertelstunde
sein Jch zu vergessen." Wenn man sich im Sinne
der hiermit angedeuteten Anweisung mit dem Bilde
der „Poesie" beschäftigt, dann mag der erste und
bleibende Eindruck sein der stiller Majestät, wie der
Künstler selber ihn bezeichnet. Man beachte die im
Lot aufrechte Haltung der Figur; man verfolge
mit dem Blick von unten nach oben das Sichaufrichten der
Figur und ihre in Stusen aufsteigende Gerade. Dann folge
man der Linie des die Geige haltenden Armes und um-
schreibe die Umrißlinien, um den Eindruck ihrer Geschlossen-
heit zu erhalten. Die Gerade und Fülle und Ruhe der
Figur wird verstärkt durch die senkrechte Wand der Hinter-
grundsarchitektur. Sie ist ja wohl zu stark. Auch der
Luftschacht der Landschaft ist etwas verengt; die Linie der
Geige geht etwas schrill vom Umriß der Figur ab; der
entlastete Fuß ist nicht gut mit dem Gewicht des Körpers
im Einklang, der Kops der Frau zu klein, der Gesichts-
ausdruck etwas leer. Solches wußte der Künstler selbst.

Aber er glaubte auch: „sie (die Poesie) ist nicht Paolo
(Veronese), noch Tizian, sondern schlechtweg ein Feuerbach",
wenigstens ein Vorbote des Stiles, zu dem Feuerbach
aufsteigen wird. Etwas wie Anzeichen von ihm lagen schon
in Arbeiten, die unter Rahls Einfluß in München entstanden
waren, so in der Pietü (Abb. 13). Wohl sind auch Vor-
bilder zu erkennen, z. B. etwa die hl. Barbara des Palma
vecchio. Aber es kann doch mit H. Wölfflin in ihr eine
unmittelbare Umsetzung italienischer Eindrücke in eine
Bildgestalt gesehen werden. Auch äußerlich in der Tech-
nik — wenn man sie als etwas Außerliches bezeichnen
darf — gibt sich das Neue kund. Die „Poesie" bedeutet
die Absage an die unruhig-laute Pariser Technik:

Phot. F. Bruckmann

„Jch verstehe jetzt die Kunst glatt zu malen
ohne modern zu sein." Ebenso und noch mehr
hat sich der Bildgehalt beruhigt und verinnerlicht.
Der Künstler selbst denkt an seinen Tod des
Pietro Aretino mit seiner schrillen Dissonanz
zurück und sagt, jetzt würde er ähnliches nicht
mehr machen können. Das Bild gibt noch zu
einer weitern Erwägung Anlaß: sie betrifft das
Verhältnis von Mensch und Künstler. Man fragt,
ob der Mensch und der Künstler in der
Künstlerpersönlichkeit nach ihrer seelisch-
geistigen Art, z. B. ihrer religiösen Haltung
eins seien. Die Antwort darauf ist noch keine
einheitliche. Kunstgelehrte von Bedeutung vec-
neinen die Einheit von Mensch und Künstler,
soweit wenigstens diese Einheit über die Grund-
linien hinausgehen soll. Wir können auch dasür
Feuerbachs Selbstbekenntnis aus den Briefen

Abb. so (Tert S. 3S)

Sludie

Phot. F. Bruckmann
 
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