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Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: periodical — 1.1929/​1930

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Schmidt, Paul Ferdinand: Luckenwalde: ein Beispiel sozialer Kulturpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0035

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Luckenwalde
Ein Beispiel sozialer
Kulturpolitik
von
DR. PAUL F. SCHMIDT
Sicher ist der Prozentsatz
der Leute, die in Lucken-
walde aussteigen, unbe-
schreiblich geringfügig ge-
genüber denen, die daran
tagtäglich vorbeifahren und
noch nicht einmal einen
Blick auf den Bahnsteig
werfen.
Es hat aber unbedingt ge-
lohnt, das Ungewöhnliche
entgegen der Prozentual-
statistik einmal zu unter-
nehmen; nicht aus ganz
freien Stücken, sondern
eingeladen von der sozia-
listischen Stadtverwaltung-
Luckenwaldes und geführt
von dem trefflichen Stadt-
arzt und Stadtrat Dr. Salo-
mon, der zu den Tugenden
seines Berufs noch eine
spezielle Neigung für so-
ziale Arbeit und Verbrei-
tung echter Kultur besitzt.
Man muß solche Männer,
die in entsagungsvoller
Kleinarbeit, an entlegener
Stätte, mit wahrem Opti-
mismus das Gute finden und das Schöne fördern, durchaus namentlich hervor-
heben: wir haben sie in Deutschland bitter nötig. Gut, wenn sie an ihrem
Platze Macht und Einfluß haben zu wirken wie dieser.
Die Kulturpolitik von Luckenwalde ist dank der Einsicht und Kenntnis
den maßgebenden Stellen mustergültig zu nennen. Es ist eine kleine und arme
Fabrikstadt von 26 000 Einwohnern, in einer trockenen, abgelegenen Land-
schaft der Mark, ohne alle natürlichen Hilfsquellen; ein Dutzend Fabriken
oder etwas mehr geben den Bewohnern Arbeit: mehr ist nicht zu berichten.
Die Stadt ist, bis auf eine alte Feldsteinkirche und einen Burgturm, der
mangels Verkehrs noch nicht als Verkehrshindernis erkannt und also stehen-
geblieben ist, ganz nüchtern und schmucklos, im Ratterschema rechtwinklig
sich kreuzender Straßen gebaut, mit ein-, höchstens zweigeschossigen Häusern
ohne Charakter; reizlose Kleinstadt, keineswegs freilich Gegenbeispiel im
Sinne Schulze-Naumburgs, im ganzen nur neutrales Material, aus dem Gutes
wie Schlimmes entstehen kann. Nicht -sehr viel anders mögen viele Fabrik-
städte vor einem halben Jahrhundert ausgesehen haben, die heute das Grauen
vor der zerstörenden Kraft der Industrie in höchstem Grade erwecken.
Aber eine Verwaltung mit Verantwortungsgefühl gegenüber der Mensch-
lichkeit der ihr anvertrauten Geschöpfe hat hier noch rechtzeitig eingegriffen.
Luckenwalde trägt heute, so wie z. B. Dessau und Celle auch, den Charakter
einer Kleinstadt, die den neuen sozialen und künstlerischen Geist begriffen
und praktisch durchgeführt hat; die Mut und Kraft besitzt, in einer bösen


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