Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: periodical — 1.1929/​1930

DOI article:
Wolfradt, Willi: Moderne Glasmalerei
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0256

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Max Pechstein

Glasfenster im Neuen Volksbad Berlin

Moderne Glasmalerei
von
WILLI WOLFRADT
Die alte Kunst des Bildfensters, jahrhundertelang verkümmert und fast
verloren oder doch rein konventionell weitergeübt, hat neuerdings wesent-
lichen Auftrieb und starke Belebung erfahren. Sie ist eine der schönsten
Hinterlassenschaften des gotischen Mittelalters, das ihrer Entfaltung im selben
Maße Raum gewährt hat, wie sich die erst so schwere und festwandige
Architektur zerschlitzte und sich in ein kühn und kühner perforiertes, fast
körperloses, wie Schleier durchsichtiges Steingewebe auflöste. Feierlich und
geheimnisvoll fand durch die hohen bunten Scheiben das in vielen tiefen
Farben sanft aufglutende Licht Zutritt in das Innere der Dome. An die
Farbeninbrunst, an die Ausdruckskraft und Mystik der gotischen Glasgemälde
hat sich erst die visionäre Leidenschaftlichkeit und schwärmerische Erregung
der expressionistischen Malerei wieder anzuschließen gewagt. Viele ihrer
Bilder suchen der Ölfarbe das jenseitige Leuchten, den glühenden Zu-
sammenklang abzugewinnen, den die alten gemalten Fenster hatten. Es war
nur ein selbstverständlicher weiterer Schritt, daß dieselben Maler nun auch
daran gingen, ihre künstlerische Vorstellung unmittelbar in farbigem Glas
zu verwirklichen. Die neue Kunst geschürten Ausdrucks, die sich in mancher
Hinsicht auf den gotischen Formengeist berief, hat die völlig dem modischen
Schmuckgewerbe dienstbar gewordene oder gar einem gemütvoll-altdeutschen
Butzenscheibenkitsch verfallene Glasmalerei als ein blutvolles und groß ge-
sinntes Bildgestalten wiederhergestellt. Religiöse Themen, die dem expres-
sionistischen Streben ins Überwirkliche und Symbolische ohnedies nahelagen,
haben ihr die Kirchen erschlossen, sodaß der neuen Bildfensterkunst auch
die praktischen Produktionsmöglichkeiten nicht fehlten. Für pathetisch ge-
steigerte Darstellungen weltlichen Charakters, Verherrlichungen etwa der
Arbeit oder des erdumspannenden Verkehrs, fanden sich ebenfalls Auftrag-
geber. Vom Formalen her entsprach besonders die flächenhafte Zusammen-

252
 
Annotationen