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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft I (Januar 1909)
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Bollmann, Emil: Zur Einführung des Kunst-Unterrichtes an unseren allgemein-bildenden Schulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0015

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Verständnis, zu wenig Geschmack; ich kann auch nichts auslesen, das mir dauernd gefällt,
ich bin zu unsicher!
Da drängen sich uns unwillkürlich zwei Fragen auf, nämlich: Ist es richtig, wenn wil-
den ahnungslosen Leuten von hoher Warte herab in künstlerischen Dingen Moral predigen,
ihnen die Freude nehmen an ihrer eigenen Arbeit und ihnen ihre Torheiten und Geschmack-
losigkeiten vorhalten? Und haben diese unsere Bemühungen Erfolg? — Was die erstere der
beiden Fragen anbelangt, müssen wir wohl sagen, dass wir eigentlich hiezu gar keine Berech-
tigung haben, denn diese Leute geben in ihrer Arbeit ihr Bestes, gerade wie wir; und was
die zweite betrifft, müssen wir auch ganz rückhaltlos bekennen, dass unser Radau meistens
nichts nützt. Ja, ich kann wohl meinem Nachbar mit allen meinen Ueberredungskünsten
auf den Pelz rücken, um ihm seinen
Protzkasten zu verekeln, und sagen:
„Mensch, wie kommst du dazu, dein
Scheunentor violett anzustreichen
und über der Haustüre, wo gerade
ein ruhiger Fleck weisser Mauer so
schön wäre, mit Smaragdgrün blinde
Jalousien aufzumalen?“ Aber er
findet das nun einmal schön, und
andere Leute finden es auch schön,
und so bin ich also der Sonderling!
Und ich kann einem Studenten schon
sagen: „Junge, dein Geschmack ist
der sprechendste Beweis für die
Richtigkeit der Darwinschen Theo¬
rie,“ wenn er in seiner verlotterten
Bokokobude eine ausgerissene Ver¬
bottafel und einen gestohlen en Kürbis
als „Dekoration“ an der Decke auf¬
hängt und in seinen „vergoldeten“
Vogelkäfig, um sich die Unterhal¬
tungskosten zu ersparen, einen selbst¬
gestopften. aus bunten Lappen zu¬
sammengeflickten Papagei stellt.
Aber das ist nun einmal „originell“
und kostet nicht viel! Und gerade
weil ich mich darüber aufrege, freut
er sich über seinen „göttlichen“ Ein¬
fall. — Und ich kann der jungen
Frau Doktor schon sagen: „Meine
Verehrteste, Ihr neuer Hut, — der
mit den Wasserrosen und den
Heringschwänzen steht Ihnen nicht,“
oder „Ihre neue Robe mit den
Schwertlilien und dem Kartoffel¬
ornament, kleidet Sie schlecht!“
Aber das ist nun mal Mode nach
ihrer Meinung, — und überhaupt
habe ich ja in Frauenangelegen¬
heiten gar nicht mitzusprechen! —
Also wir sehen: Die „Grossen“
lassen sich nicht mehr, oder nur sehr
selten bekehren; und das ist auch
ganz begreiflich. Sorgen wir also
lieber für gediegenen Nachwuchs!
Sorgen wir dafür, dass endlich in der
Schule ein anderer Geist einziehe!
In der Jugend haben wir noch
schmiegsames und bildungsfähiges Material. Hier liegt die Wurzel, hier wollen wir mit
unserem Wirken einsetzen und hier wollen wir dem Uebel entgegenarbeiten. Durch das Kind
soll diese Suggestion und Inspiration, ohne dass die Betreffenden sich eigentlich des Vorganges
bewusst sind, auf die nächste Umgebung, auf den Familienkreis weitergeleitet werden.
Ich bin nun allerdings von der Voraussetzung ausgegangen, dass der Unterricht immer
auf fruchtbaren Boden falle, was ja bekanntlich leider nicht überall der Fall ist, — auch
dann nicht, wenn er noch in d$r richtigen Weise erteilt wird. Das Sprichwort: „Jedem
Narren gefällt seine Kappe!“ wird eben auch nicht aus der Welt zu bringen sein. So viele
Menschen, so viele Ansichten. Aber ist einmal der gestreute Samen aufgegangen, sind die
empfänglichen Schüler zu ernst denkenden, einflussreichen Gliedern der menschlichen Gesell-
schaft herangereift und wird auch weiterhin die kostbare Pflanze richtig gepflegt, dann wird
sie auch ihre Früchte zeitigen, d. h. das allgemeine Niveau der Volkskunst wird sich heben.

Abbildung 4.
 
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