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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft III (März 1909)
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Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0052

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Massenartikel hervor ? Warum ist heute das Ein-
fache teuer und das Ueberladene billig'? Warum
ist kein einfacher und billiger Stuhl zu haben ? Warum
diese Schmutzfarben oder diese schreienden farbigen
Kontraste an den Stoffen'?
Legt man diese Fragen dem Fabrikanten vor, so
folgt die feststehende Antwort: d a s P u b 1 i k u m ve r-
langt es so. Der Fabrikant muss es wissen, denn
die Reisenden erzählen ihm ja genügend von ihren
Erfahrungen mit der Kundschaft. Allerdings bestellt
diese Kundschaft des Fabrikanten zunächst aus Händ-
lern, aber diese berichten gewiss auch ihrerseits nur
ihre Erfahrungen mit dem Publikum.
Diese für unser Kunstniveau traurigen Er-
fahrungen mit dem Publikum haben ja den Anschein
der Richtigkeit. Zum Teil sind sie jedoch unzweifel-
haft unzutreffend oder mindestens verzerrt wieder-
gegeben. Haben unsre Durchschnittsgeschäfte etwa
schon das Bestreben bekundet, dem Publikum
künstlerisch Gutes besonders zu empfehlen'? Sind sie
hierzu auch nur in der Lage? Man beobachte ein-
mal den geschwätzigen Verkäufer hinter seinem Laden-
tisch. Er empfiehlt den grössten Schund als besonders
schön, als das Neueste, als das Modernste und damit
Beste. Sein Ehrgeiz liegt gewiss nicht auf dem Gebiete
des guten Geschmackes, selbst wenn er solchen hätte.
Das Neueste will erhaben, und er verlangt bei jedem
Besuche des Fabrikreisenden wieder etwas Neueres,
damit er dem Publikum nach vier Wochen bereits
wieder das Allerneueste bieten kann. Dieser neuerungs-
süchtige Mann hinter dem Ladentische ist es, der den
Volksgeschmack bestimmt, nicht das Publikum. Das
Publikum benimmt sich dabei nur unglaublich töricht
und lässt sich von diesem diktatorischen Vermittler
zwischen Hersteller und Verkäufer in der unerhör-
testen Weise hinters Licht führen. Wer hätte nicht
schon sein mitleidiges Lächeln bemerkt, wenn jemand
nach etwas fragt, was vor einem Vierteljahr das Neueste
und Schönste war, heute aber seiner Meinung nach
überholt ist? Und hat nicht schon jeder einmal er-
fahren, mit welcher Ueberlegenheit ein solcher Ver-
käufer selbst einem geschmacklich selbständigen Käufer
gegenüber seine Aesthetik zu diktieren unternimmt?
Der Mann ist eben gewohnt, sein Publikum in Ge-
schmacksfragen unangezweifelt zu beherrschen.
Zum guten Teil hängt es mit diesen Verhält-
nissen zusammen, dass die Industrie von dei-
ne u e n K u n s t b e w e g u n g bisher noch so w e n i g
Nutzen zu ziehen vermocht hat. Es liegt vorwiegend
an ihrer Vermittlung an das Publikum.
Das blinde Vertrauen dieser Vermitt-
/w /L lang gegenüber und die Abhängigkeit
/ / / der Fabrikanten von ihr sind der wahre
Grund für die Rückständigkeit. Es
fehlt an Selbstbewusstsein, an Be-
 
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