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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft IV (April 1909)
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Kolb, Gustav: Die Organisationsarbeit des Stadtschulrats Dr. Kerschensteiner in München, [1]: ein Bericht über das Münchener Fortbildungsschulwesen sowie über den Handarbeits- und Zeichenunterricht der Münchener Volksschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0066

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stellenden Arbeiten oder als skizzenhafter Entwurf für eine kunstgewerbliche Darstellung
im echten Material, wobei die Details gleich im Material selbst auszuführen sind.
9. Auch an Handwerkerschulen für Gesellen und Meister sollen, wo Lehrwerkstätten
die zeichnerische Ausbildung ersetzen können, diese an Stelle der Zeichenkurse treten.
10. Zur Hebung des Gewerbes in kunstgewerblicher Richtung ist auch die Erziehung
des Publikums notwendig, die durch periodische Ausstellungen in Verbindung mit Vortrags-
reihen gefördert werden muss.
11. Die Stadt ist in vier Fortbildungsschulbezirke eingeteilt, deren jeder sein eigenes
Gebäude erhält mit Lehrsälen, Lehrwerkstätten, einem Versammlungs- und Ausstellungssaal,
einer Vorbildersammlung und Bibliothek.
12. Der obligatorische Unterricht umfasst in mindestens 8 Wochenstunden Lesen und
Aufsatz, gewerbliches Rechnen mit Buchführung, Lebens- und Bürgerkunde, Religion, Zeichnen,
Berufskunde und praktischen Unterricht. Die Lehrlinge jener Gewerbe, in denen Zeichnen
und Werkstattunterricht nicht eingeführt ist, haben mindestens 6 Stunden Wochenunterricht.
Der gesamte Unterricht ist den einzelnen Gewerbegruppen anzupassen.
13. Im gesamten Unterrichts-, besonders aber im Werkstättenbetrieb sind Einrichtungen
zu schaffen, die eine gewisse freie Selbstregierung der Schüler möglich machen. Damit
soll das Bewusstsein der Verantwortlichkeit praktisch entwickelt werden.
14. Knaben unter 18 Jahren, die keiner der bestehenden gewerblichen Fortbildungs-
schulen zugewiesen werden können, haben die allgemeine Fortbildungsschule zu besuchen.
Auch hier ist Zeichen- und Arbeitsunterricht einzurichten.
Drei von den vier grossen Gewerbeschulgebäuden besuchten wir und lernten
ihre Einrichtung in diesen Tagen gründlich kennen. In nachfolgendem sollen
einige Beobachtungen, die ich dabei machte, kurz erläutert werden.
In dem Schulhaus an der Westenriederstrasse besuchten wir zunächst
die Fachklassen für Dekorationsmaler, in denen Lehrlinge und Gehilfen unter-
richtet werden. Der Besuch ist freiwillig; diese Einrichtung entspricht also der
unserer ,,offenen Zeichensäle“, nur wird die Arbeit des Lehrers nicht als „Aufsicht“,
sondern als vollwertige Lehrtätigkeit gewertet und bezahlt. In der Klasse Jmmler
werden vornehmlich alte Stil art en gelehrt. Anfangs wird nach Gips gearbeitet:
„Der Schüler soll vom Plastischen zum dekorativ Malerischen geführt werden.“
Als Endziel des Unterrichts, der in Verbindung mit Stillehre erteilt wird, gilt
Entwerfen in den verschiedensten Stilarten. Dabei werden alle möglichen
Techniken gelehrt, wie man auch in der Ausstellung sehen konnte, wo wohlgelungene
Proben in Leimfarbe-, Casein-, Tempera-, Sgraffito-, Fresko-, Stereochromie-, Oel-,
Pastell- und Keim’scher Mineralfarbemalerei ausgestellt waren. J. bevorzugt auch
folgende einfache Technik: Die mit Kohle durchschattierte Zeichnung wird mit
einem Farbton lasiert, hierauf werden die Lichter mit Deckfarbe aufgesetzt, oder
umgekehrt: eine ausgesprochen farbige, unter Umständen „giftig“ wirkende Unter-
malung (z. B. bei einem Wappen) wird mit einem grauen Farbton lasiert.
In der Ausstellung waren auch überaus glänzende Leistungen der von Maler
A. Heck geleiteten Fachklasse vertreten, die wir an diesem Tage ebenfalls besuchten.
Hier wird nach der Natur gearbeitet. Der Schüler soll zur dekorativen Auffassung
und Stilisierung der Naturform geführt werden. Während unseres Besuchs wurde
hauptsächlich nach ausgestopften Vögeln gezeichnet und gemalt. Allen Besuchern
der Ausstellung werden die farbig bemalten Schränke in Erinnerung sein, die
in dieser Fachklasse ausgeführt wurden. In der Farbstimmung waren diese
Schränke ausserordentlich wirkungsvoll; die Farbe war aber so dick aufgetragen,
dass mit ihr zugleich modelliert wurde, ein Umstand, der wohl eine apparte
Wirkung erzeugte, die Gebrauchsfähigkeit dagegen nicht erhöhte. Deshalb fanden
diese Schränke, obwohl sie dem ornamentalen Geschmack des betr. Lehrers das
beste Zeugnis ausstellten, andererseits mit Recht viele Kritiker.
In der Ausstellung fiel mir auf, dass die eigentliche angewandte dekorative
Malerei nicht vertreten war. Beim Besuch der Klasse Heck nahm ich daher Ver-
anlassung, diesen darüber zu befragen, ob praktische Aufgaben, denen der Deko-
rationsmaler von heute vor allem gewachsen sein muss, wie z. B. Raum Stimmungen
und die verschiedenen praktischen, neuzeitlichen Techniken, nicht behandelt werden.
Er verneinte dies, meinte aber, ein Schüler, der durch seine Schule hindurchge-
gangen sei, werde auch solche Aufgaben spielend lösen. Ich konnte meine Zweifel
darüber nicht unterdrücken und machte auf die Bestrebungen unserer „Beratungs-
 
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