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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft VI (Juni 1909)
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Kolb, Gustav: Die Organisationsarbeit des Stadtschulrats Dr. Kerschensteiner in München, [3]: ein Bericht über das Münchner Fortbildungsschulwesen sowie über den Handarbeits- und Zeichenunterricht der Münchner Volksschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0099

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gehabt und kam zu wesentlich anderen Darstellungsarten und Mitteln. Deshalb
war ich nicht wenig erstaunt, in München zu sehen, auf welchen Weg diese For-
derung K. selbst geführt hat.
Ein weiteres Fragezeichen ergab sich mir seinerzeit schon beim Studium der
Reformvorschläge Dr. K. bezügl. der Farbe. Wie wir oben gesehen haben,
werden den Münchner Schülern nur die 3 ,,Grund“‘-Färben Zinnober, Chromgelb
und Ultramarin als Deckfarben in die Hand gegeben. (Dazu tritt noch Weiss und
Neutraltinte, ausnahmsweise Karmin und Preussischblau. Neben diesen Aquarell-
farben werden noch Pastellfarben verwendet.) Jeder Praktiker weiss nun aber,
dass diese Farben zur Darstellung der farbigen Erscheinung der Natur nicht
genügen. Ich erinnere
nur an die vielen
stumpfen Farbtöne,
die wir nur durch
Mischung mit Licht¬
ocker hervorbringen
können. K. verzichtet
allerdings bewusst auf
eine naturalistische
Wiedergabe der Na¬
tur. Aber auch die¬
ser Grundsatz müsste
nicht notwendig zu
jener dekorativen Ma¬
nier führen, bei der
die Farbe mehr oder
weniger unabhängig
von Natur nur als
dekoratives Mittel an¬
gewendetwird, die ver¬
schiedenen Flächen
nebeneinander zum
Ausdruck zu bringen.
Die Schüler der
Münchner Volksschu¬
len haben keinen
Farbkasten mit Pa¬
lette in Händen, die
Farben werden viel¬
mehr in einem kleinen
Schüsselchen nach
Angabe des Leh¬
rers gemischt. Es
kann vom Schüler selbstverständlich auch nicht verlangt werden, die Natur zu
beobachten und die gesehene Farbe wiederzugeben, schon deshalb nicht, weil
seine Farbmittel hiezu nicht ausreichen. Damit wird dem Münchner Volks-
schüler die Hauptarbeit bei Darstellung der Natur vornweg weggenommen. Hierin er-
blicke ich einen weiteren grossen Mangel des MünchnerZeichenunterrichts und zugleich
eine Inkonsequenz; denn ein Zeichenunterricht, der das Ziel verfolgt, die Gesichts-
vorstellungen auszubilden und das Vermögen, sie graphisch auszudrücken, zu ent-
wickeln, darf die überwiegenden optischen Eindrücke, die wir erhalten, die der
farbigen Erscheinung der Dinge um uns her nicht in dieser Weise ignorieren.
Ich bin beim Studium des Münchner Zeichenunterrichts mehr und mehr zu
der Ueberzeugung gekommen, dass die Ausgestaltung des Münchner Volksschul-
zeichenunterrichts den Grundsätzen Dr. Kerschensteiners, wie sie uns in dem Werke
„Entwicklung der zeichnerischen Begabung“ vorliegen, nicht ganz entsprechen.


Fruchtkorb als Abschlussknauf. Schülerarbeit der Fachklasse für Bildhauer der
Gewerbeschule München (Leiter: K. Killer).
 
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