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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

DOI Heft:
Heft VI (Juni 1909)
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0104

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so gewaltig beschleunigt! Eine ungeeignetere Erziehung der Jugend als mitten in
der Grossstadt lässt sich kaum ausfindig machen. Und wem die gesunde Weiter-
entwicklung unseres Volkes am Herzen liegt, der muss die Forderung erheben:
wenigstens mit der heranwachsenden Jugend heraus aus dieser Umgebung in na-
türlichere Verhältnisse!
Draussen gedeiht aber nicht nur die Kindheit besser, auch der erwachsene
Mensch fühlt sich unabhängiger und wohler. Das eigene Haus schafft ein Ge-
fühl der Freiheit und erlaubt jenes Sesshaftwerden, das für eine ruhige Entwicklung
des einzelnen wie unserer gesamten Kultur so wichtig ist. Das Haus bringt dann
auch von selbst die Notwendigkeit des näheren Bekümmerns um das Zweckmässige,
Behagliche und Schöne des Wohnens mit sich, und damit ist einer der wichtigsten
Triebe für eine echtere Art der künstlerischen Betätigung geweckt. Der Bewohner
tritt den Räumen, die ihn umgeben, jetzt ganz anders gegenüber, sie sind sein eigen,
und er hat die Möglichkeit, sie so zu gestalten, wie sie ihm selbst entsprechen.
Im Einzelhause wird sich die Wohnung allmählich veredeln und aus dem jetzigen
Durcheinander zu einer anständigen Verfassung entwickeln. Allerdings noch nicht
sofort, denn die Erfahrung lehrt, dass immer zunächst die alten Zustände in neue
Verhältnisse mit herübergenommen werden und sich dort erst allmählich verändern.
So ist in Deutschland neuerdings auch der Wohnungszustand der Etage in die
Villa übertragen worden, so dass unmittelbar nichts gebessert ist. Aber die Hoff-
nung, dass Besserung eintreten wird, ist jedenfalls in erster Linie im Einzelhause
und nicht in der Etage gegeben.
Bei verbesserten Wohnungsverhältnissen wird sich das Streben in der Gestal-
tung unserer häuslichen Umgebung dann von selbst auf eine einfache schlichte
Würde richten, wie sie dem Bürger geziemt. Gediegenes Gerät innerhalb ein-
facher Wände und nichts Ueberflüssiges, sei es an Ornament, ,,Nippsachen“ oder
Möbelstücken, das ist die beste Richtschnur, um zu einer erträglichen Einrichtung
zu gelangen. Würde man aus der heutigen, von Unwesentlichem geradezu starrenden
Wohnung zunächst einmal jedes nicht unbedingt notwendige Stück und Stückchen
herauswerfen, so würde man einen erstaunlichen Erfolg zum Bessern bemerken.
Natürlich ist damit noch nicht alles getan. Der wichtigste Schritt ist das Erstreben
einer gewissen Einheitlichkeit in Form und Farbe. Ganz besonders in der Farbe,
denn diese wirkt eindringlicher als die Form, ausserdem lässt sich hier mit billigen
Mitteln oft auch da eine erträgliche, ja, gute Wirkung erreichen, wo man mit vor-
handenem Mobiliar zu rechnen hat. Zunächst halte man auf eine ruhige Behand-
lung der Wand. Ein aufdringliches Tapetenmuster hat gar keinen Sinn, die Wand
ist im Zimmer nicht Selbstzweck, sondern neutraler Hintergrund, auf dem Möbel
stehen, Bilder hängen sollen usw. Aber sie hat farbig doch als Grundton des
Ganzen eine massgebende Bedeutung. Bringt man sie in Uebereinstimmung mit
der Farbe des Fussbodens oder dem Teppichbelag, so hat man für das fernere
leichtes Spiel; man hat ein harmonisches Gehäuse für die Ausstattung, die sich,
bei einiger weiteren Aufmerksamkeit in der Farbenzusammenstellung, jetzt leicht
einfügt. Es wird sich dabei vorwiegend darum handeln, allen im Zimmer auftre-
tenden Stoff in derselben Farbe zu wählen, das heisst also Fenstervorhänge, Möbel-
bezüge, etwaige kleine Teppiche, Kissen usw. Das ist deshalb nicht schwer, weil
hier bei etwa Nichtpassendem der Färber in der Regel mit Leichtigkeit nachhelfen
kann. Aber auch sonst sind ja die Ausgaben für Stoff noch immer weit geringer,
als für etwa neu zu beschaffende Möbel.
Was diesen Punkt anbetrifft, so liegen die Verhältnisse schwierig, so lange es
sich darum handelt, vorhandenes Material benutzen zu müssen. Namentlich sind
die Möbel, die in Deutschland in den letzten fünfzig Jahren hergestellt sind, eigent-
lich von einer solchen Missbildung, dass es schwer wird, sie in anständiger Um-
gebung zu dulden. Immerhin kann auch hier noch ein erträglicher Eindruck ge-
schaffen werden, so lange nur das Holz und die Farbe einheitlich sind.
Das Problem der Wohnungskultur liegt im übrigen, das braucht kaum beson-
ders hervorgehoben zu werden, bei der heraufkommenden Generation, die sich ihr
 
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