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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

DOI Heft:
Heft VI (Juni 1909)
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0105

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eigenes Mobiliar anzuschaffen in der Lage ist. Wenn liier eine Gesinnung Platz
griffe, die nur das Einfache und Gediegene wählte, das Protzige vermiede und jeden
Anschein des Täuschenden grundsätzlich ab wiese, wieviel wäre dann schon gewonnen!
Wir würden ein schlichtes Hausgerät von edlem Anstand und echter Vornehmheit,
und zwar von bürgerlicher Vornehmheit haben, nicht der gewollten talmi-aristokra-
tischen Vornehmheit von heute. Ein Hausgerät von jener Unaffektiertheit und
Wahrheitsliebe, wie es unsere Gross- und Urgrossväter hatten. Die geräuschvolle,
aufgeblasene Art unserer heutigen Wohnungsausfüllung würde verschwinden, das
billige Surrogatornament, das heute alles überzieht, ordinär erscheinen. An die
Stelle des heutigen Aufgemachten, Grossspurigen würde sich etwas wieder einfinden,
das uns so nahe liegen sollte und das uns doch heute so meilenfern gekommen ist: der
sachliche Gesichtspunkt. Wir kennen ihn heute nur noch in unserm Anzuge.
Die Wohnung ist aber nur das weitere Kleid, das uns umgibt. Bedenkt man
nun, welche grundverschiedene Gesinnung sich in unserem heutigen Verhältnis zu
beiden zu erkennen gibt, so tritt das Unharmonische unserer heutigen Kultur auch
hier wieder recht auffallend zutage. In unserer Kleidung haben wir ziemlich
geklärte Begriffe über den praktischen Zweck, über Anstand und Würde, in unserer
Wohnung nicht die mindesten. In unserer Kleidung vermeiden wir das roh Auf-
fällige und würden es ablehnen, ein Maskenkostüm zu tragen, in unserer Wohnung
wiegt der Jahrmarktsplunder und die Maskerade vor. Dort herrscht Einheit und —
wenigstens im Männeranzug — Tradition, hier Buntheit und Ziellosigkeit, dort
treffen wir den Sinn für Gediegenheit an, hier eine völlige Blindheit gegenüber dem
Unsolidendes heutigen Mobiliars. Und noch mehr: dort sind wir zu Opfern bereit,
hier ist es nicht der Fall. Man bedenke nur, wie unsere Damen darauf halten,
dass die Einzelheiten ihres Anzuges zusammen passen, wie leicht sie eine erkleck-
liche Summe für einen Mantel, einen Pelzschmuck ausgeben, um ihren Anzug ein-
heitlich zu gestalten! Aber in der Wohnung wird Kotes, Grünes und Gelbes neben-
einander gestellt, als gäbe es hier keine Geschmacksgrundsätze, und die Anlegung
von 500 Mark zur geschmacklichen Verbesserung der Grundlagen eines Zimmers
erscheint selbst dem Keichen unerhört! Nippsachen und nutzloses Kleingerät, die
kauft man. Würde man die dafür aufgewendeten Summen am Jahresschluss zu-
sammenzählen, so würde man oft sehen, dass eine Summe herauskommt, mit der
sich eine durchgreifende Massregel, sei es in der Wand- oder Bodenbehandlung,
sei es in der Durchführung eines einheitlichen Farbenplanes hätte erzielen lassen.
Aber das Schlimme ist: es fehlt für diese Dinge an Verständnis. Das Interesse
an unserer persönlichen Umgebung erhebt sich augenblicklich noch nicht über unseren
Anzug hinaus. Unsere Anschauungen über das Wohnen sind aber auch ein Grad-
messer für unsere äussere Kultur und vielleicht ein feinerer und beredterer, als
unsere Anschauungen über die Kleidung.
Der Stand des allgemeinen Geschmacks wird sich immer in der derzeitigen
kunstgewerblichen Lage zu erkennen geben, die sich ihrerseits wieder im Wohnungs-
inhalt der Zeitgenossen abspiegelt. Geschmacksdrückend haben im Verlaufe des
neunzehnten Jahrhunderts viele Umstände gewirkt: das Ersterben der handwerklichen
Tradition, die missverstandene Art der Fabrikation, die sozialen, einen neuen Stand
ohne gereiften Geschmack an die Oberfläche werfenden Veränderungen, nicht zu-
letzt auch die wirtschaftliche Beschränkung, die in Deutschland in der ersten Hälfte
des Jahrhunderts herrschte. Nichts aber hat so erschütternd und verhängnisvoll
eingewirkt, als das Parvenüt-um der letzten dreissig Jahre. Die Protuberanzen, die
jetzt plötzlich hervortraten, liessen sogar die äusserste Beschränktheit in der ersten
Hälfte des Jahrhunderts im Lichte einer glücklichen Zeit erscheinen, an die man
jetzt in der Not des Zuvielen wieder anknüpfen konnte. Und in der Tat, man
hatte damals noch Geschmack. Der Sinn war noch nicht auf das protzige Talmitum
gelenkt, auf dem sich das Trachten der heutigen Zeit bewegt.
Geschmack ist Sache des ästhetischen Taktes, der ästhetische Takt das Produkt
einer künstlerischen Kultur. Eine künstlerische Kultur ist nur auf dem Boden
einer allgemeinen Kultur denkbar, die Basis dieser aber ist die Gesinnung und der
 
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