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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft VIII (August 1909)
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Schwarz, E.: Das Zeichnen in der Volksschule und seine Verwertung im Unterricht, [1]: Vortrag des Herrn Zeichenlehrers E. Schwarz Karlsruhe, gehalten am 23. Mai d.J. bei der Generalversammlung des badischen Zeichenlehrervereins in Gengenbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0131

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Und das, meine Damen und Herren, ist die Forderung, die am wenigsten
beachtet wird!
Die Augen wollen wir den Kindern öffnen, damit sie lernen, sehend durch
die Welt zu gehen! Und wenn sie in der Jugend, in der Schule gewöhnt werden,
die Augen aufzumachen, wenn sie also gelernt haben, richtig und scharf zu be-
obachten und einzudringen in den innersten Wesenskern der Dinge, dann werden
sie als erwachsene Menschen nicht an der Oberfläche der Dinge haften bleiben,
dann werden sie allen Dingen auf den Grund gehen, dann werden wir sie erziehen
zu denkenden, zu selbstschaffenden Menschen.
Wir müssen u n s e r e J u g e n d w i e d e r z u r G e n u s s f ä h i g k e i t erziehen
im höchsten Sinne, damit sie den geistigen Genuss höher ein-
schätzen lernt als den weltlichen!
Wir müs¬
sen sie wie¬
der zurück¬
führen zu
Kunst un d
Natur, zur
Lehrmei¬
sterin der
Menschheit!
Wir leben
in der Zeit
des Früh¬
lings, in der
Zeit der
Aufersteh¬
ung in der
Natur. Tre¬
ten Sie hin¬
aus in die
Natur, wo
das Leben
zum Leben
spricht!
Hier liegt ein Buch vor uns, dessen Blätter alle aufgeschlagen sind! In strahlenden
Lettern spricht sein Inhalt zu uns; hier reiht sich Wunder an Wunder, und die
meisten Menschen, sie gehen achtlos vorbei an dieser stummen Erhabenheit und
Schönheit und vermögen nicht, die Buchstaben zu entziffern.
Hier geht einer seine Strasse, der keinen andern Sinn ausgebildet hat als
den Erwerbssinn, und während er durch die stillen Wunder der Natur dahin-
schreitet, rechnet er sich vielleicht den Betrag aus, den er auf diesem Gange ver-
dient oder wie er seinen Nebenmenschen Übervorteilen will ! Er sieht nicht die
Kinder der Natur; er sieht nicht den scheinbaren Zwiespalt zwischen Leben und
Tod, zwischen Vergehen und Wiederauferstehen in der Natur; er erkennt nicht
den Ewigkeitsgedanken, der sich wie ein roter Faden hindurchzieht durch alle
Natur; er zertritt die Blume, die zu ihm aufschaut, die ihr schönstes Farbenkleid
angezogen hat, um seine Augen auf sich zu lenken, ihm ihr innerstes Geheimnis
zu entschleiern! —
Dort kommt ein junges schmuckes Mädchen, ein Liedchen aus frohem Herzen
singend; ihm lachen die Sonne und der Frühling aus den Augen ; es hebt das ge-
knickte Blümchen am Wege auf; es spricht zu ihm wie zu einem Kinde; es fühlt,
dass sie beide zusammengehören; es bat noch die unbestimmte Ahnung im Herzen,
dass sie eines Ursprungs sind! —
Die Schönheit, die Vollkommenheit, sie schaut uns überall entgegen; sie redet
zu uns, und wir vermögen oft nicht, ihre Sprache zu verstehen, und wenn wir versuchen,

Abbildung 2.
 
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